Eltern sein, Familie leben

Mutterherzgedanken VIII: Dankbar fürs Reden und Ringen 4/40

Was habe ich mir da denn schon wieder eingebrockt? Bin ich eigentlich bescheuert? Wie oft habe ich diesen Satz schon gesagt? Meistens, weil mich meine große Klappe in die Situation gebracht hat, mit irgendjemanden irgendein klärendes Gespräch führen zu müssen. Ach, wo habe ich schon überall gestanden oder gesessen: Auf irgendwelchen Elternversammlungen; vor einem Mob wütender Menschen, die irgendwas in den falschen Hals bekommen hatten; im Büro des Unipräsidenten; bei einem Pfarrer, an dessen Predigt ich das eine oder andere auszusetzen hatte; neben einem gutem Freund, mit dem ich irgendwie zwei bis zwölf Missverständnisse aus dem Weg räumen musste; auf dem Sofa einer Freundin, bei der ich mich dringend entschuldigen musste; in der Pizzeria mit der anderen Freundin, die manche Glaubensdinge ganz grundlegend anders sieht als ich; oder als eins von drei bereitwilligen Elternteilen vor dem Lehrer des Kindes, mit dem es gerade Probleme gab.

Irgendwie trifft es immer mich. Nein anders – irgendwas bringt mich immer wieder dazu, mir solche Gespräche einzuhandeln. Und ehrlicherweise war das schon immer so. Es zieht sich durch meine halbe Kindheit, meine gesamte Jugend und mein Erwachsenenleben. Ich habe die Angewohnheit, in Momenten, in denen Menschen, die entspannter leben als ich, ihre Klappe zu halten wissen, meine aufzureißen. Früher habe ich diese Eigenschaft an mir nicht so gut leiden können. Wer will schon eine Krawallnudel sein, wenn alle anderen sanftmütig – und damit auch noch offenkundig besser – durchs Leben kommen? Mittlerweile jedoch fange ich an, genau das an mir selbst zu schätzen und zu sehen, wie viel ich damit erreicht habe. Zumindest, wenn ich meine Energie an den richtigen Stellen eingesetzt habe.

Der wütende Mob würde es nie zugeben, aber durch meine Intervention sind Strukturen an Stellen geschaffen worden, an denen es davor einfach keine gab. Der Pfarrer ist mir mittlerweile ein lieber Wegbegleiter geworden, mit dem ich im Laufe der Jahre noch über so manches Thema gestritten habe. Die Freundin, mit der ich in der Pizzeria saß, weiß woran sie bei mir ist und ich kenne ihre Position – so tief miteinander über strittige Punkte ins Gespräch zu gehen, hat unser Miteinander gestärkt und unsere Freundschaft vertrauter und ehrlicher gemacht. Mit dem Lehrer haben wir viele Missverständnisse aus dem Weg räumen und so ein besseres Arbeitsklima für alle Kinder schaffen können.

Danke für deine Wertschätzung mir gegenüber, sagte eine Freundin einmal, als ich sie nach einer doofen Verabredung anrief, um ihr zu sagen, dass ich mich über sie geärgert hatte. Ich stutzte. Wertschätzung? Ich hatte ihr gerade minutenlang meinen Frust über sie um die Ohren gehauen. Doch sie erklärte es mir: Ich hätte auch einfach aus ihrem Leben verschwinden können, bei anderen über sie lästern oder zulassen, dass diese eine, blöde Situation unsere Beziehung überschattet. Stattdessen habe ich die Dinge aus der Welt geschafft, in dem ich meinem Ärger Luft gemacht habe.

Ich glaube, da habe ich langsam angefangen zu begreifen, dass Reibung und Ringen nicht unbedingt etwas Schlechtes ist, sondern zu tiefen Beziehungen dazugehört. Vertrauen und Tiefe kann nur entstehen, wenn wir auch zulassen, dass andere uns eine unangenehme Wahrheit zumuten. Dein Verhalten heute war daneben! Deine Predigt hat mich verärgert! Ich verstehe deine Haltung zum Thema XY nicht! Mein Kind ist unglücklich in Ihrem Unterricht!

Seien wir ehrlich: das will niemand über sich hören. Das tut ein bisschen weh, lässt uns an uns selbst zweifeln und wirkt regelrecht bedrohlich. Denn jemand, der findet, dass ich daneben bin, meine Arbeit gestern nicht gut gemacht habe, eine unmögliche Haltung zu einem Thema einnehme oder mich anderen gegenüber mies verhalten habe, der kann mich doch nicht gleichzeitig lieb haben, oder? Viele von uns haben gelernt, dass Kritik an etwas, was wir tun, Kritik an dem, was wir sind, bedeutet. Es hat auch mich Jahrzehnte gekostet herauszufinden, dass oft das Gegenteil der Fall ist.

Es ist ja so: In meinem Zusammenleben mit drei kleinem, einen großen Menschen, einem Kater und einem Hund, gibt es genügend Reibung und Konfliktpotential. Ich brauche das nicht noch an anderer Stelle. Wenn ich, als eigentlich harmoniebedürftiger Mensch, diese Reibung aber doch suche, dann weil es mir wichtig ist – weil mir die Menschen, um die es geht, wichtig sind! Meine Tage sind zu kurz, mein Alltag zu voll und meine Zeit zu kostbar, um jeden Köder zu fressen, den mir jemand hinwirft. Ich wähle meine Schlachten mittlerweile weise. Und wie mir geht es sicher vielen – kaum ein Erwachsener hat Zeit für Reibung und Diskussion mit Menschen, die ihm total unwichtig sind. Wenn wir uns entscheiden, Konflikte in Kauf zu nehmen, dann weil wir um diejenigen ringen möchten, mit denen wir sie eingehen.

Dankbar bin ich deshalb heute für die Menschen, mit denen ich reden und ringen kann. Ich danke Jesus für die Wegbegleiter, die sich die Zeit nehmen und zuhören, die ihr Herz öffnen und mir ihre Position darlegen. Ich bin dankbar für alle, die nicht aus Beziehungen hinausgehen, wenn sie schwierig werden, sondern die bleiben, nach Konsens suchen und am Ende auch Dissens aushalten. Das sind meine Leute! Die, mit denen es sich lohnt durchs Leben zu gehen, die mit denen ich alt werden kann, weil ich bei ihnen weiß, dass auch sie aus Liebe sprechen, wenn sie mir einmal sagen, dass ich heute voll daneben war, meine Leistung unterdurchschnittlich oder meine Position echt schräg!

Couldn’t be much more from the heart!

 

Fotos: Inka Englisch (Link)

Über mich:

Unternehmerin, Erziehungswissenschaftlerin, Familienberaterin, Autorin, dreifache Mama und vor allem für Sie und ihre Familie da.

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