Eine Insta-Followerin fragte mich kürzlich, ob ich Tipps hätte, wie man Kinder gut durch ihre Schulzeit begleitet. Sie wollte wissen, wie wir Heranwachsende stark machen, angesichts des Drucks, der auf ihnen lastet, sobald sie mit der Zuckertüte zum ersten Mal durchs Schultor gelaufen sind. Denn sind wir ehrlich, unser Schulsystem arbeitet leider mit einer Menge Druck. Es beginnt bei sehr früher Benotung von Lernerfolgen und geht weiter über ebenso frühe Selektion. In vielen Bundesländern werden Kinder bereits mit 10 Jahren auf unterschiedliche Bildungswege geschickt, völlig ungeachtet der Tatsache, dass sie sich in den nächsten zwei bis vier Jahren noch komplett anders entwickeln können. Spätestens auf den weiterführenden Schulen finden Kinder dann häufig extrem große Klassen vor, in denen sie sich behaupten müssen und machen die Erfahrung, dass sie als Mensch dort überhaupt nicht mehr vorkommen, sondern nur noch ihre Leistungen zählen.
Fast die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler in Deutschland empfindet durch die Anforderungen der Schule großen Stress. Neben den eben genannten Faktoren, die in Schule und Bildungspolitik ihre Ursache finden, kommt oft auch noch Druck aus dem Elternhaus hinzu. Und genau darauf zielte die Frage meiner Followerin ab. Wie schafft man es, Zuhause ein Gegengewicht zu bleiben und nicht zum zusätzlichen Stressfaktor zu werden? Wie begleiten wir unsere Kinder gut durch die Schulzeit?
Offen und positiv an das Thema Schule gehen
Als wir das erste Kind mit Zuckertüte und Ranzen aus dem Haus schickten, haben wir uns gefreut und ein Fest gefeiert. Wir sind nicht naiv in diese neue Lebensphase gegangen, denn als Erziehungswissenschaftlerin wusste ich bereits zu viel darüber, was in unserem Schulsystem schief läuft. Dennoch war es uns wichtig, diesen Weg positiv zu besetzen. Denn es ist ja so: Wir haben keine andere Wahl. Wir leben in einem Land, das Schulpflicht für ein sehr hohes Gut hält und kommen so aus der Nummer nicht raus, selbst, wenn wir wollten.
Außerdem habe ich mich sehr mit jedem einzelnen Kind gefreut, dass es in diese neue Lebensphase gehen konnte. Denn die Einschulung bedeutet nicht nur, dass wir unsere Kinder in ein System schicken, mit dem wir noch das eine oder andere Mal hadern werden, es bedeutet auch, dass sie einen riesigen Schritt ins Leben gehen können. Und wenn es nicht allzu mies läuft, werden sie dabei auch jede Menge Spaß haben – besonders in den magischen ersten Monaten. Sie werden neue Freundschaften schließen und selbständiger werden. Sie lernen sich die Welt auf neue Art zu erschließen und sie zu begreifen und glaube mir, es ist unfassbar herzig, wenn sie dir das erste Mal einen Satz vorlesen oder kleine Briefchen schreiben.
Und so habe ich jedes Mal wieder naiv vertraut und mich mit ihnen gefreut. Übrigens auch, wenn es auf die weiterführenden Schulen ging. Ich habe helle Freude daran, ihnen beim Wachsen und Werden zuzusehen und da gehört der Schulbesuch nun einmal dazu.
Die Kinder ohne Vorerwartungen durch die Schulzeit begleiten
Diese positiven Erwartungen an ihre Entwicklung sollten aber die einzigen Erwartungen sein, die wir an die Schulzeit unserer Kinder haben. Oft erlebe ich, dass Eltern schon in der ersten Klasse genau zu wissen glauben, wo ihr Kind nach der vierten gut aufgehoben ist. Fast immer ist das ausgegebene Ziel heute das Abitur. Besonders dann, wenn Eltern selbst einen hohen Bildungsabschluss haben.
Ich kann verstehen, dass man so an die Sache rangeht, und als Akademikerin wünsche ich mir natürlich auch, dass meine Kinder die Möglichkeiten im Leben haben, die das Abitur mir eröffnet hat: Auslandsaufenthalte, ein Studium, Auswahl bei der Berufswahl.
Gleichzeitig setzt diese Haltung aber nicht nur die Kinder, sondern die ganze Familie unter einen gewissen Erwartungsdruck. Denn wir blenden damit aus, dass unsere Kinder eigenständigen Menschen sind, mit dem Recht auf ihre eigene Entwicklung.
Fakt ist: Wir wissen nicht, welchen Typ Mensch wir da in die Grundschule schicken. Nur, weil uns selbst das Lernen leichtgefallen ist, heißt das nicht, dass das für unsere Kinder genauso sein muss. Es kann sein, dass sie problemlos durch die Schulzeit kommen, genauso ist es aber möglich, dass sie viel Unterstützung brauchen, in bestimmten Bereichen langsamer sind als andere oder dass sie überhaupt nicht in den engen Rahmen unseres Schulsystems passen.
Deshalb empfehle ich, Kinder erst einmal neugierig durch die Schulzeit zu begleiten und offen zu sein für alle möglichen Varianten und Bildungswege, die es zu bieten hat.
Lernerfolge feiern statt Noten
Dazu gehört auch, dass wir unseren Fokus mehr auf das Lernen an sich legen als auf die Bewertung dessen, was in Prüfungen herauskommt. Denn Fakt ist: Noten bilden den Lernerfolg von Schülerinnen und Schülern nur sehr bedingt ab. Wie jemand bei Klassenarbeiten, mündlichen Prüfungen oder Referaten abschneidet, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Manche kommen mit Druck nicht gut klar. Andere hätten einfach noch ein paar Wochen länger oder eine andere Form der Ansprache gebraucht, um ein Thema zu verstehen. Wieder andere hätten sich das Wissen aneignen können, wenn man es in ein alltäglicheres Setting eingebaut hätte, statt in realitätsferne Lehrwerke.
Gelernt haben aber alle etwas – und auch diejenigen, die erst bei der Berichtigung einer schlecht bewerteten Klassenarbeit den Stoff verstehen, haben ihn gelernt und können jetzt mehr als vorher.
Keine Belohungssysteme – keine Bestrafung
Das ist einer der Gründe, warum ich Noten und Zeugnisse weder belohne, noch bestrafe. Bei uns gibt es kein Geld fürs gute Zeugnis, keine Stunde länger Medienzeit, weil man eine gute Note nach Hause gebracht hat, aber eben auch keine negativen Konsequenzen, wenn sie mit Vieren oder Fünfen kommen. Das würde meines Erachtens dem Fokus auf Lernen statt Leistung widersprechen – und den finde ich tatsächlich wichtig.
Dazu kommt, dass jeder Mensch von sich aus darauf ausgelegt ist, zu lernen und sich zu entwickeln. Heranwachsende sind das im besonderen Maße. Unsere Aufgabe ist es, die ihnen innewohnende Motivation lebendig zu halten, statt sie an äußerliche Anreize zu koppeln. Letztere funktionieren nämlich spätestens dann nicht mehr, wenn Heranwachsende in der Lage sind, sich materielle Wünsche selbst zu erfüllen, allein über ihre Medienzeit entscheiden oder nicht mehr so scharf auf eine neue Packung Ninjago-Karten sind.
Stark machen, was dein Kind kann
Abgesehen davon unterschätzen viele Eltern, wie sehr Benotungen für Kinder selbst Bestrafung oder Belohnung sind. Niemand bringt gern eine schlechte Note aus der Schule nach Hause. Es fühlt sich nicht gut an zu sehen, dass man im Klassenspiegel sehr weit hinten abgebildet ist. Ein rot gesprenkeltes Blatt zurückzubekommen ist deprimierend. Viele Haken, eine gute Note und vielleicht noch ein „gut gemacht“ unter einer Leistung wirken hingegen motivierend. Das Belohnungssystem im Gehirn des Kindes wird aktiviert und es bekommt mehr Lust darauf, solche Leistungen zu wiederholen.
Wichtig ist deshalb, dass wir unsere Kinder auch dann motivieren, wenn sie durch schlechte Bewertungen deprimiert sind. Denn eine schlechte Note sagt nur sehr, sehr wenig über den Menschen aus, der sie bekommen hat. Unsere Aufgabe ist es, dem Kind vor Augen zu führen, was es alles kann und worin es gut ist. Denn es hilft ungemein mit Rückschlägen umzugehen, wenn man sich seiner eigenen Stärken bewusst ist.
Für dein Kind in der Schule einstehen
Du siehst, sein Kind gut durch die Schulzeit begleiten bedeutet, Zuhause einen Gegenpol zur Logik des Schulsystems zu bilden und Glaubenssätze über Bildung und Schule zu hinterfragen. Es bedeutet Präsens im Leben deiner Kinder. Und meiner Meinung nach bedeutet es auch, im Zweifel für die eigenen Kinder einzustehen.
Seit der Begriff der „Helikoptereltern“ auf sehr missverständliche Art und Weise Einzug in unseren Sprachgebrauch gefunden hat, haben viele Eltern Angst, genau diesen Stempel aufgedrückt zu bekommen. Doch wir müssen uns klarmachen, dass unsere Kinder in der Schule normalerweise sehr wenig Macht haben. Sie sind den Entscheidungen von Lehrkräften ausgeliefert, die genau wie wir alle ihre blinden Flecken und problematischen Seiten haben. Dass es da, wo Menschen so viele Stunden so intensiv miteinander verbringen, wie in Schulen, zu Fehlern kommt, ist nur normal. Doch leider bietet unser Schulsystem sehr wenig Raum für Fehler- und Konfliktmanagement. Lehrkräfte haben miteinander oft eine hohe Loyalität. Das ist sinnvoll, denn ihnen weht ein sehr harter Wind ins Gesicht. Aber es ist in dem Moment problematisch, wo Fehlverhalten dadurch unter den Tisch gekehrt wird, Betriebsblindheit nicht mehr angesprochen und wo die Solidarität untereinander nötige Reflexion verhindert. Und genau deshalb ist es in Ordnung, dass wir Eltern uns im Zweifel einmischen!
Wenn du das Gefühl hast, dass dein Kind leidet, dass Missverständnisse sich häufen oder dass dein Kind nicht gesehen wird und stattdessen häufig in der falschen Schublade landet, dann such das Gespräch. Kinder gut durch die Schulzeit begleiten, das bedeutet, für sie einzustehen. Ich meine nicht, dass du wie eine aufgebrachte Dampfwalze alles niedermachen sollst, was deinem Kind vermeintlich schadet. Keinesfalls, denn auch du bist angehalten, dich und eure Situation zu reflektieren und einen ehrlichen Blick auf die Stärken und Schwächen deines Kindes zu werfen. Was dein Kind von dir braucht, ist, dass du sachlichen Dialog suchst. Einen Austausch auf Augenhöhe, der Missverständnisse aus dem Weg räumt, aber auch klar signalisiert: Ich bin da und ich sehen hin. Willkür lasse ich nicht durchgehen!
Last but not least empfehle ich dir, bei euch zu Hause immer viel Raum zu schaffen, in dem Schule rein gar nichts verloren hat. Sorge dafür, dass ihr Spaß miteinander hat, dass ihr Feste feiert und Pizza esst, Spieleabende macht oder einfach im Gras liegt und der Ranzen unbeachtet in der Ecke steht.