Wer glaubt schon an Wunder?
Ich habe gebetet. Und gebetet. Und gebetet.
Dann habe ich aufgehört zu beten.
Nur um damit irgendwann wieder anzufangen.
Und dann habe ich Gott angeschrien. Geschimpft habe ich, wie ein Rohrspatz. Ungerecht bin ich mit ihm geworden.
Ich habe andere gebeten, mit mir zusammen Gott in den Ohren zu liegen, damit etwas passiert.
Doch auch der vielstimmige Chor bewirkte kein Wunder. Gott schwieg.
Ich konnte ihm nicht mehr nah sein. Er wurde ein ferner Gott, einer, der auf seinem himmlischen Schreibtischstuhl hockt, Akten sortiert und meine Sorgen verwaltet.
Stell dir Gott anders vor, sagte eine Freundin. Wie eine sorgende Mutter, die einer ganzen Schar Kinder gerecht werden muss, nicht nur dir. Wenn sie dein Problem löst, tut sie den anderen weh – und wenn sie euch alle sieht und für euch alle wirken will, braucht es seine Zeit. Vertraue ihr.
Dann habe ich nur noch getan, was man tut, wenn man eine Mutter hat, die einen sieht: Bei Gott geweint.
Tief in mir habe ich auf ein Wunder gehofft. Mir ausgemalt, wie es aussehen könnte. Mich nicht getraut, daran zu glauben, weil es Wunder doch in Wirklichkeit gar nicht gibt.
Höchstens diese verkorksten Wunder, in denen wir uns schreckliche Geschichten schönreden. Weil irgendwo inmitten von Schmerz und Leid etwas wächst. Weil jemand mit seiner eigenen schlimmen Geschichte andere ermutigt. Weil mitten auf dem Schlachtfeld zerbrochener Beziehungen zwei neue Menschen ihren ersten Kuss miteinander teilen und Schmetterlinge auf Trauerweiden landen.
Aber ein waschechtes Wunder, in dem sich auf einmal all das ergibt, was ich mir erhofft hatte? In der die dunklen Stunden auf einmal nichts als Erinnerungen sind?
Warum sollte gerade ich eins erleben dürfen? Ich kenne Menschen, die sich diese waschechten Wunder so viel mehr verdient hätten. Deren Leid viel schlimmer ist. Dagegen sind meine Sorgen so klein. So handhabbar. So aushaltbar.
Vielleicht brauche ich kein Wunder, habe ich gedacht. Und ich habe wieder aufgehört, dafür zu beten.
Ein anderer hat nicht aufgehört an Wunder zu glauben. Er hat seine Hände gefaltet und Gott gesagt, dass wir ein Wunder brauchen.
Und Gott tat ein Wunder.
Über Nacht.
Und in vielen darauffolgenden Tagen. Manche tat er einfach so. Doch viel öfter gebrauchte er unsere Hände, denn es sind die einzigen, die er auf der Erde hat. Ja auch meine. Ich durfte sie nicht länger gefaltet in meinem Schoß liegen lassen, sondern musste ins Tun kommen. Ins Kämpfen. Ins Vertrauen.
Und das Wunder geschah und ich konnte es nicht glauben.
Meine Seele staunte – und war immer noch verzagt. Wer glaubt schon an Wunder, fragt sie? Wo ist der Haken, der Zettel mit den Nebenwirkungen, das Kleingedruckte, das ich überlesen habe?
Und so steht sie noch im Gang, im Halbdunkel, meine Seele. Vor ihr liegt der sonnendurchflutete Garten, ein paar Strahlen fallen zu ihr hinein. Sie kann schon die Vögel singen hören und wagte sie den Schritt hinaus, könnte sie Schmetterlinge auf bunten Blüten sitzen sehen.
Seele – du hast ein Wunder erlebt. Singe! Danke! Und habe keine Angst mehr.