Ich glaube, dieses Mutterding ist gar nichts für mich, sagte ich kürzlich zu einer guten Freundin, ich bin dafür nämlich viel zu weich. Damit meine ich, dass vieles, was so passiert, mich sehr ungefiltert trifft. Jemand sagt etwas Gemeines zu einem meiner Kinder? Man könnte mir genauso gut ein Messer in den Bauch stoßen. Eines meiner Kinder ist traurig? Ich möchte mit weinen. Natürlich nicht bei den alltäglichen Kleinigkeiten (Marmeladenbrot falsch durchgeschnitten), aber wenn ein Kind so richtig aus vollem Herzen weint über einen dieser Schmerzen, die diese Welt nun einmal unweigerlich bereithält. Dann möchte ich diesen Schmerz wegnehmen. Ich möchte losziehen, mit meinem Zauberstab und Molly Weasley sein, die Bellatrix Lestrange erledigt. Ich möchte Wände einreißen und Strukturen wie Kartenhäuser in sich einstürzen sehen.
Im Moment ist dieser Wunsch besonders präsent. Zu keiner Zeit meines Mutterlebens habe ich mich wohl machtloser gefühlt, wenn es darum ging, meine Kinder vor Widrigkeiten der Welt und des Lebens zu beschützen. Da ist diese Pandemie – seit nun mehr fast zwei Jahren befinden wir uns in einem Ausnahmezustand, der uns in Wellenbewegungen mal tiefer und mal weniger tief in diese Krise mit reinzieht. Mal sind die Schulen auf und ihr Leben darf im Ansatz normal sein. Dann wird ihr Radius wieder beschränkt. Bei allen politischen Entscheidungen sind sie die Letzten, die mitgedacht werden. Wenn man an sie denkt, dann meistens in einem one-size-fits-all Stil, der manchen tatsächlich hilft und andere in ihren Sorgen und Nöten nicht sieht. Mit den Folgen dessen, was wir ihnen antun, lassen wir sie dann allein. Zumindest gesellschaftlich. Natürlich nicht wir selbst. Wir Mütter und Väter sind da. Wir sitzen an Betten. Wir halten Händchen. Wir trockenen Tränen. Wir hören zu – wieder und wieder. Wir versuchen die Basis zu halten, auch wenn es langsam über unsere eigenen Kräfte geht. Ähnlich geht es gerade Lehrer:innen, Erzieher:innen, Sozialarbeiter:innen. Sie sehen Nöte und wollen helfen, doch es scheint oft viel zu viel zu sein. Zu viel Zerbrochenes. Zu viele Steine auf Wegen, die doch begehbar sein sollten. Zu viele zerplatzte Träume, wo Hoffnung sein sollte.
Wenn ich die Welt auf diese Art betrachte, möchte ich die Kinder, meinen Mann, den Kater und den Babyhund schnappen und irgendwo im Niemandsland zwischen Schleswig-Holstein und Dänemark in einen Wald ziehen. Ich möchte wie Hermine meinen Zauberstab zücken und Bannkreise um uns ziehen, damit uns keiner mehr finden kann. Doch ich weiß sehr gut, dass das falsch wäre. Meine Kinder brauchen keine Mutter, die sie vor all dem Leid da draußen beschützt. Sie brauchen eine, die sie trotzdem ziehen lässt. Sie brauchen eine, die nur theoretisch allzeit bereit ist, es mit Todessern aufzunehmen und die praktisch tut, was Molly Weasley auch die meiste Zeit tat: Ein Zuhause bereithalten, in das sie immer kommen können. Eins, in dem das Wort BEDINGUNGSLOS fett in Großbuchstaben über der Haustür schwebt. Eins, in dem man den Schrecken dieser Welt für einige Stunden mit den Schuhen im Flur abstreifen kann. Eins, in dem man auftanken und sich erholen kann.
Denn am Ende des Tages ist das die einzige Waffe, die wir Mütter (und Väter) allzeit parat haben. Denn seien wir ehrlich: Heute ist es die Pandemie. Morgen der Klimawandel. Dazwischen kommen die alltäglichen Katastrophen – der erste Liebeskummer oder Mobbing. Verlusterfahrungen, die unweigerlich zum Leben dazugehören. Zerbrochene Freundschaften und Totalschäden. Kleine Stacheln und fette Dornen. Kein Leben kann ohne Kummer und Schmerz ablaufen, auch das unserer Kinder nicht. Und wenn wir als Eltern empathisch an ihrer Seite stehen, war der Geburtsschmerz erst der Anfang, es können Wehen folgen, die viel weniger gut zu veratmen sind.
Aber genau wie der Körper sein eigenes Morphin herstellen kann, können wir auch hier viel selbstwirksamer sein, als wir denken. Es macht nämlich wirklich einen Unterschied, wohin Heranwachsende ihren Kummer tragen, an einen kalten Ort oder in ein warmes Zuhause. Letzteres ist selbst dann wirkmächtig, wenn unsere Kinder ihren Schmerz für sich behalten und ihn nicht in unsere Sofakissen heulen. Die Art, wie wir unser Familienleben gestalten, hat Macht. Immer. Dabei meine ich gar nicht, dass wir immer dafür sorgen müssen, dass alles perfekt ist. Nein, gerade auch im Unperfekten können wir Wärme schaffen.
Manche Momente sind schwer, ob wir wollen oder nicht. Aber oft sehen wir in der Rückschau, dass genau die es waren, die Nähe geschaffen haben und das Gefühl von Verbundenheit gestärkt.
Und deshalb setze ich der Machtlosigkeit nun eine Portion Geborgenheit entgegen. Ein warmes Wohnzimmer, offene Arme, in die man sich werfen darf oder auch nicht, eine heiße Suppe auf dem Herd und ein Herz, das mitfühlt, die eigenen Tränen zurückhält, nur um sie dann später der guten Freundin in die Sprachnachricht schluchzen. Danach werden Kerzen angezünden und eine Teerunde gemachen. Mein liebster Zauberspruch heißt no matter what und ich sage ihn und noch viel mehr möchte ich ihn sichtbar machen. Immer wieder. Immer deutlicher.
…that’s how the light gets in