In den letzten 15 Jahren hat sich die Einstellung zu außerhäuslicher Kinderbetreuung in Deutschland stark gewandelt. Als ich vor 13 Jahren das erste Mal schwanger war, galt es für viele noch als “zu früh”, Kinder mit 12 Monaten in Kitas oder Krippen zu schicken. Gleichzeitig war aber die Diskussion über den Krippenausbau in vollem Gang. Die große Mehrheit der Eltern entschied sich damals trotzdem dafür, ihre Kinder länger selbst zu Hause zu betreuen. Heute werden, je nach Bundesland, zwischen 30 und 50 Prozent der Kinder unter drei Jahren in Kitas oder Krippen betreut. Der Bedarf an Kinderbetreuung für diese Altersgruppe ist gerade in den westdeutschen Ländern aber höher.
Kinderbetreuung im Wandel
Seit Ursula von der Leyen das Thema als Familienministerin stark gepusht hat, ist also viel passiert, gerade in der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Während Kinderbetreuung für unter Dreijährige zuvor oft als schädlich galt und gerade Mütter, die diese in Anspruch nahmen, schnell als Rabenmütter galten, hat sich dies gewandelt. Viele Familien möchten ihre Kinder früh außerhäuslich betreuen lassen. Zeitweise kann man mittlerweile sogar den Eindruck gewinnen, der Rechtfertigungsdruck sei nun auf der anderen Seite, bei den Familien, die sich dafür entscheiden, länger ohne Betreuung außerhalb der Familie zu leben. Oft fühlen sich Eltern mit der Entscheidung darüber, wie sie mit ihren Kindern leben wollen, deshalb ein bisschen überfordert. Die Frage scheint zu polarisieren und oft werden Halbwahrheiten in den Raum geschmissen, die Eltern auf der einen oder anderen Seite Angst einjagen.
Bindung geht mit mehr als einer Person
Zum einen wird das Thema Bindung oft angeführt, wenn es um Argumente gegen frühe Betreuung außerhalb der Familie geht. Dem gegenüber steht aber die Tatsache, dass das Bindungssystem eines Kindes darauf ausgelegt ist, sich früh auch an weitere Personen, als die Eltern (die Mütter) zu binden. Anders hätte das menschliche Zusammenleben in den meisten Zeiten unserer Weltgeschichte auch gar nicht funktioniert. Es kommt gar nicht so sehr darauf an, wann Kinder andere Betreuungspersonen kennenlernen und ihnen anvertraut werden. Es geht darum, wie das abläuft und wer diese Personen sind.
Gerade frühe Kinderbetreuung muss die Fortsetzung der Bindungsarbeit sein, die Eltern zu Hause erledigen. Wenn Kinder von anderen Personen betreut werden ist es wichtig, dass ein Band zwischen den neuen Menschen in ihrem Leben und ihnen geknüpft werden kann. Ein langsames aneinander Gewöhnen ist genauso wichtig, wie Verlässlichkeit und Verfügbarkeit. Auch die neue Person muss feinfühlig in der Lage sein, auf diesen kleinen Menschen zu schauen. Auch in der Betreuung geht es darum, Kinder zu trösten, ihre Bedürfnisse zu sehen und zu erfüllen und ihnen beim Verstehen und Regulieren von Gefühlen zu helfen. Außerdem braucht Betreuung auch Verlässlichkeit und Kontinuität. Wenn diese Faktoren gegeben sind, kann es gut klappen.
Natürlich bedeutet das trotzdem nicht, dass die Betreuung außer Haus dadurch zum Selbstläufer wird. Je nach Kind und Rahmenbedingungen kann es sein, dass es in der gewählten und favorisierten Konstellation nicht funktioniert. Dann müssen neue Wege gesucht werden.
Bildungsfaktor Kinderbetreuung
Während einerseits die Angst vor Bindungsbrüchen geschürt wird, wird anderseits auch den Eltern ein schlechtes Gewissen gemacht, die ihre Kinder länger ausschließlich selbst betreuen wollen. Denn die frühkindliche Betreuung außer Haus wird oft als wichtige Bildungsarbeit gelabelt. Doch auch hier gilt: Das ist mitnichten ein Selbstläufer. Es kann nicht pauschal gesagt werden, dass Kinder, die früh Betreuungseinrichtungen besuchen, daraus per se einen Bildungsvorteil haben. Gerade Kinder, die zu Hause wenig Förderung haben, profitieren von einer guten Kinderbetreuung. Aber auch dann gilt, dass Bindung vor Bildung geht. Denn sie ist die Grundvoraussetzung. Gerade bei Kindern, die auch Zuhause auf ein bildungsoffenes Umfeld treffen, ist der Effekt von frühkindlicher Bildung geringer und gleicht sich im Laufe des Lebens aus.
Die Frage der Kinderbetreuung ist also keine, die sich zwischen Bindung und Bildung entscheidet oder für die es eine eindeutige, allgemeingültige Aussage gibt. Es ist viel mehr ein individueller Abwägungsprozess. Oft beginnt er mit persönlichen Notwendigkeiten. Eine Familie, die zwei Einkommen braucht oder Alleinerziehende werden sich viele Fragen gar nicht stellen können. Ein früher beruflicher Wiedereinstieg ist da oft gesetzt und es braucht einen Betreuungsplatz, der zu den Rahmenbedingungen passt.
Auf die eigene Lebensrealität schauen
Wenn Eltern jedoch unsicher sind und zwischen verschiedenen Möglichkeiten abwägen, können folgende Fragen helfen: Welche Möglichkeiten haben wir? Wie möchten wir uns die Kinderbetreuung als Eltern aufteilen? Was fühlt sich für uns gut an? Welcher Typ ist unser Kind? Was braucht es?
Wichtig ist hier zu berücksichtigen, dass es ja nicht nur familiäre Betreuung und Kitas und Krippen gibt. Eltern haben eine Vielzahl von Lösungen und Möglichkeiten. Immer mehr Eltern entscheiden sich zum Beispiel dafür, beide Arbeitszeiten zu reduzieren. Auch in der Nähe wohnende Großeltern können in die Betreuung einbezogen werden, genau wie Tageseltern. Manche Familien bilden Betreuungsgemeinschaften mit anderen Eltern in derselben Situationen. Die möglichen Wege sind vielfältig, wie Familien es sind.
Präsenz bleibt entscheidend
Wenn man über Wege nachdenkt, die für die eigene Familie passen, finde ich es außerdem wichtig zu berücksichtigen, dass sich die Frage nach Fürsorge und Präsenz im Leben der eigenen Kinder nicht nur über die ersten drei Lebensjahre erstreckt. Wir brauchen da tragfähige Lösungen für eineinhalb bis zwei Jahrzehnte. Das bedeutet natürlich nicht, dass die einmal gefundene Lösung für immer Bestand hat. Es heißt aber, dass man sich nicht der Illusion hingeben darf, dass es ein Selbstläufer wird, sobald die Kinder älter sind. Gerade wenn man über die Frage nachdenkt, wie man sein berufliches Leben gestalten will, sollte man diesen Gedanken mit einbeziehen.
Letztlich bleibt es eine individuelle Entscheidung. Eine lange berufliche Auszeit und die Betreuung der Kinder zu Hause kann für eine Familie und ihre Bedürfnisse genau der richtige Weg sein. Wir sollten diesem Lebensentwurf mit Wertschätzung begegnen. Genauso gut kann es genau passen, dass beide Eltern berufstätig sind und ein Kind bereits früh in eine Betreuungseinrichtung eingewöhnt wird. Auch hier brauchen Familien niemanden, der ihnen sagt, dass sie etwas falsch machen. Das gilt natürlich auch für alle Wege dazwischen. Den eigenen Weg als Familie zu finden, egal in welche Richtung, das braucht heute viel Mut – und doch ist es von großem Wert zu wissen, was man selbst braucht, um gut miteinander durch den Alltag zu kommen.
Liebe Daniela, danke für deinen tollen und wichtigen Artikel! Diese Entscheidung der Betreuung ist wirklich sehr individuell und wird meiner Meinung nach nicht nur nach inhaltlichen Kriterien, wie Bildung oder Bindung, sondern auch oft anhand profaner wirtschaftlicher Kriterien getroffen. In vielen Familien reicht das Gehalt eines Elternteils nicht mehr aus, um eine Familie “zu ernähren”, sodass nach einem Jahr bezahlter Elternzeit auch der andere Partner wieder arbeiten muss. Oder man entscheidet sich dafür sich finanziell (sehr) einschränken zu müssen.
Ein zweiter Punkt, der mir aufgefallen ist, ist, dass du von Betreuung von Kindern unter 3 Jahre schreibst. Vielleicht denke ich aus einer ostdeutschen Perspektive, aber ich kenne tatsächlich keine Familie in meinem Umkreis, die ihre Kinder länger als zwei Jahre zu Hause betreut hat. Bei uns ist die Betreuungssituation aktuell nicht so prekär, dass Alternativen gefunden werden müssen, aber aus solchen Zwängen können meiner Meinung nach auch spannende neue Konzepte entstehen, die Bildung und Erziehung weiter denken und entwickeln können.
Danke, dass du Mut machst, auf die eigenen Bedürfnisse in der Familie zu hören und sich mit den Lebensentwürfen anderer auseinanderzusetzen und auszutauschen.
Liebe Grüße,
Katharina
Liebe Katharina, danke für deinen Kommentar. In meiner Umgebung gibt es tatsächlich schon auch Kinder, die drei Jahre zu Hause betreut werden (wir haben das auch so gemacht). Mit den wirtschaftlichen Gründen, hast du natürlich total recht, das hatte ich ja auch so geschrieben in einem Absatz. Man muss immer erst mal auf das schauen, was überhaupt geht und dann unter den gegebenen Umständen das tun, was am besten zur eigenen Familie passt.
Herzliche Grüße
Daniela
Vielen Dank für den Artikel! Ich habe so langsam das Gefühl, wir kommen an den Punkt, wo unser Baby keine 24-Stunden-Betreuung mehr braucht. Daher kommt mir langsam der Gedanke auf, die Kleine in die Kita zu schicken. Dementsprechend ist es gut zu wissen, dass wir ruhig und ohne Scham unseren eigenen Weg bei dem Thema finden sollten.
Vielen Dank für deinen Kommentar. Ja, ich finde es wichtig, den eigenen Weg zu finden und zusammen zu schauen, was passt. Alles Gute für euch!