Geh in dein Zimmer, bis du dich wieder beruhigt hast! Diesen Satz kennen wir wohl alle irgendwie. Vielleicht haben wir ihn als Kind gehört. Vielleicht haben wir ihn auch schon selbst gesagt, seit wir Eltern sind. Und eventuell ist es so, dass wir uns deswegen ein kleines bisschen schlecht fühlen. Denn die meisten von uns haben schon einmal gehört, dass solche Arten von Beziehungsabbrüchen in der Erziehung unserer Kinder nicht hilfreich sind. Deshalb sollte man sie vermeiden, oder? Ja und nein! Ganz so einfach ist das nämlich alles nicht mit der Frage danach, ob Auszeiten als Erziehungsmittel sinnvoll sind oder nicht.
Was ist eine Auszeit
Auszeiten, stille Stühle, am Tisch sitzen oder in den Nebenraum gehen – diese auch als Time-out bekannten Erziehungsmethoden sollen problematisches Verhalten von Kindern unterbrechen. Sie kommen aus einem stark verhaltensorientierten Erziehungsansatz und gehen mit einem Konzept der „logischen Konsequenzen“ einher. Hier geht es darum, dass nicht erwünschtes Verhalten von Kindern Folgen haben soll. Es geht also um Konditionierung. Mein Kritikpunkt an solchen Ansätzen ist zunächst einmal, dass das, was als „logische Konsequenz“ bezeichnet wird, oft eben genau das nicht ist: eine logische Konsequenz des Verhaltens unserer Kinder. Nehmen wir als Beispiel ein Kind, das mit Stoffschuhen in eine Pfütze springt, obwohl dies Verboten war. Logisch ist an dieser Stelle nur, dass das Kind nasse Füße hat. Die „logische Konsequenz“ in vielen verhaltensorientierten Erziehungsansätzen ist aber, dass das Kind nun nach Hause gehen muss. Auszeiten gelten in solchen Ansätzen quasi als Zwischenlösung – zeigt ein Kind ein problematisches Verhalten und den Bezugspersonen fällt nicht sofort eine „logische Konsequenz“ ein, soll ein kurzer Time-Out verordnet werden. Das Kind wird aus der jeweiligen Situation genommen und muss sich bspw. auf einen Stuhl setzen und einige Minuten „stillsitzen“.
WAS SPRICHT GEGEN DEN TIME-OUT?
Was genau ist daran nun problematisch? Zum einen ist ein Time-Out selten bis nie die logische Konsequenz aus einem Verhalten des Kindes. Sie ist höchstens das, was wir aus unserer Erwachsenensicht herleiten. Für Kinder ist es nicht nachvollziehbar, dass sie bspw. für das Werfen von Bauklötzen an einen Tisch gesetzt werden. Es gibt keinen logischen Zusammenhang zwischen „Bauklötzen“ und „Tisch“ für sie. Zum anderen entspricht die Erwartung, die wir Erwachsenen in so einer Situation an Kinder stellen oft nicht ihren Bedürfnissen. Wenn unsere Kinder zum Beispiel aus einer emotional aufgeladenen Situation heraus problematisch handeln, ist in ihrem Körper evtl. noch eine ganze Menge Energie, die eigentlich anders umgeleitet werden müsste. Sie zu zwingen, still zu sitzen, ist in diesem Fall nicht hilfreich. Ein weiterer Punkt ist, dass emotional aufgewühlte Kinder oft ein Beziehungsangebot brauchen und keinen Beziehungsabbruch. Denn hinter problematischem Verhalten steckt ja immer ein Grund und oft ist es ein Signal, dass unsere Kinder Hilfe brauchen. Setzen wir sie jedoch von uns Weg und vermeiden den Kontakt, fehlt ihnen unsere Hilfe, um mit sich selbst wieder ins Lot zu kommen. Dazu kommt, dass ein Time-Out eine Strafe ist und sich für unsere Kinder auch demütigend anfühlen kann. Von einem großen, stärkeren Menschen in der eigenen Not nicht gesehen zu werden und stattdessen in einer sehr unpassenden Situation still verharren zu müssen, das würde sich wohl auch für uns nicht gut anfühlen.
WANN HELFEN AUSZEITEN?
Es gibt verschiedene Gründe dafür, Kinder aus einer Situation zu nehmen. Bleiben wir beim Beispiel der geworfenen Bausteine: Wenn ein kleines Kind daran gerade so viel Spaß hat, dass es auf unsere Worte nicht hören kann, wir aber unsere Einrichtung schützen wollen, ist es sehr sinnvoll, das Kind nicht dort zu lassen, wo es gerade ist. Wenn es „nur“ um die Wohnungseinrichtung geht, dann reicht es, das Kind hochzunehmen und eine Alternative anzubieten. Es kann sein, dass wir statt Bausteinen zerknülltes Papier oder Softbälle anbieten oder aber, dass wir mit den schweren Klötzen nach draußen gehen, wo nichts passieren kann.
Kritischer wird die Situation, wenn unser Kind nicht aus Spaß, sondern aus Wut wirft und vielleicht auch noch andere Kinder geschützt werden müssen. Dann kommt es darauf an, was dringlicher ist. Wenn ein anderes Kind bereits weint, kann es sein, dass wir uns dort zuerst kümmern müssen. Da kann es sinnvoll sein, das werfende, wütende Kind erst einmal kurz irgendwo zu platzieren, wo es weder sich noch anderen Schaden kann. Das können wir auch so erklären. „Ich tröste jetzt das andere Kind und dann schauen wir, wie wir das klären.“
Wem helfen Auszeiten?
Doch manchmal brauchen wir ja die sogenannten Auszeiten gar nicht, um unsere Kinder zu regulieren, sondern uns selbst! Gerade wenn eine Menge Emotionen im Spiel sind, kann es sein, dass wir sie erst einmal nicht halten können. Das bedeutet, dass wir selbst innerlich vor Wut beben, wenn ein wütender kleiner Mensch Bauklötze durch die Gegend wirft. Vielleicht hatte die Situation eine Vorgeschichte, vielleicht sind wir nicht gut drauf, vielleicht reagieren wir generell sensibel auf starke Gefühle. Wie auch immer es ist, in dieser Situation kann es sinnvoll sein, dass wir uns eine Auszeit nehmen. Die beste Lösung ist hier, wenn wir selbst einen kurzen Moment den Raum verlassen. Doch gerade, wenn der Raum, in dem wir das Kind zurücklassen nicht sicher ist oder kleine Geschwister im Spiel sind, kann es sein, dass das gerade nicht möglich ist. Und in diesem Moment kann es eben doch sinnvoll sein, ein Kind kurz woanders hinzuschicken. Es dient in so einer Situation nicht der Erziehung, sondern dem Schutz aller Beteiligten. Wichtig ist hier allerdings, dass wir das unseren Kindern auch zeigen.
Time-Out vor- oder nachbereiten
Wenn wir wissen, dass solche Situationen in unserem Alltag vorkommen können, ist es gut, es vorab zu besprechen. „Ich muss mich dann erst beruhigen und will nicht unnötig mit dir schimpfen und deshalb geh bitte kurz in dein Zimmer, wenn ich es sage“ „Ich bin trotzdem für dich da und du kannst jederzeit zu mir kommen, wenn war ist“ – das sind Sätze, die zur Vorbereitung dieser Art von Auszeiten wichtig sind.
Doch manchmal passieren solche Situationen auch einfach im Affekt und es bleibt keine Zeit, sie vorzubereiten oder wertschätzend zu kommunizieren. Da finden wir uns dann auf einmal von Wut überflutet im Wohnzimmer stehen und „Geh in dein Zimmer“ brüllen. Sind wir ehrlich – das ist dir schon passiert und mir auch. Das gehört zu den normalen unperfekten Familienmomenten einfach dazu. Viel wichtiger als sie zu vermeiden ist da die Nachbereitung. Wichtig ist, dass wir schnell wieder die Nähe zu unseren Kindern suchen, dass wir erklären, warum wir so gehandelt haben und dass wir Absprachen fürs nächste Mal treffen.
Fehlertoleranz
Ach ja – und wie immer am Wichtigsten: Wir müssen unsere schwierigen Momente danach nicht als Scham- und Schuldbrocken mit uns herumschleppen, sondern dürfen sie wieder abgeben (am Besten an Jesus, der versenkt sie im Meer). Solche Dinge passieren und wenn wir eine liebevolle Grundatmosphäre in unserem Zuhause haben, immer wieder Nähe suchen und uns nicht zu fein sind, um Vergebung zu bitten, richten sie keinen nachhaltigen Schaden an.