Im Leben unserer Kinder gibt es Meilensteine und Übergänge, die nicht nur gefeiert werden wollen, wenn sie anstehen, sondern die auch ihre langen Schatten voraus werfen. Das Ende der Grundschulzeit ist einer dieser Übergänge. Die Monate davor werfen ihre Schatten voraus – und manchmal auch unter die Augen. Und nein, damit meine ich nicht die Planung von Abschlussfeiern oder die Suche nach neuen Schulen. Ich meine das, was dieser Übergang emotional mit unseren Kindern macht.
Hier stehen gerade einige Übergänge an. Über das Ende der Kitazeit habe ich letzte Woche schon geschrieben. Das Ende der Grundschulzeit steht aber ebenfalls für eins der Kinder an. Dass große Ereignisse kommen, das merkt man unserem Haus an. Nicht unbedingt beim Betreten. Aber spätestens dann, wenn man ein gewisses Gespür für Stimmungen hat. Denn die bei uns ähnelt dem Wetter. Da sind Tage voller Sonnenschein und mit einer Menge Euphorie – und da sind die kleineren und größeren Unwetter. Da sind Emotionen, die sich manchmal völlig ungefiltert entladen. Da sind Gefühle, die so übermächtig sind, dass die jungen Menschen, die ihnen ausgesetzt sind, oft gar nicht wissen, wohin damit.
Das Ende der Grundschulzeit ist ein Bruch
Kein Wunder. Immerhin endet ein Lebensabschnitt. Das Ende der Grundschulzeit markiert einen Bruch im Leben von Heranwachsenden, den wir nicht unterschätzen sollten. Unsere Kinder haben vier Jahre lang in einem sehr vertrauten und sehr gut abgesteckten Rahmen verbracht. Vier Jahre lang mit einer übersichtlichen Anzahl von Menschen. Einige von ihnen sind ihnen ans Herz gewachsen. Andere nicht. Vor allem aber haben sie in diesem Setting mehr als ein Drittel ihres bisherigen Lebens verbracht. Nun jedoch müssen sie es loslassen. Manche tun das mit Freude. Sie sind ganz und gar rausgewachsen aus der Phase der Überschaubarkeit, der Behütung, des Schonraums Grundschule. Man erkennt sie oft daran, dass sie sehr deutlich zeigen, dass Grundschule nicht mehr ihr Ding ist. Für Lehrkräfte sind sie evtl. gerade ein bisschen fordernder. Widerspruchsstärker. Gelangweilter. Ungeduldiger. Genervt von allem.
Andere sind innerlich noch nicht ganz bereit, das loszulassen, was sie kennen. Das Abenteuer weiterführende Schule erscheint ihnen gefährlich und unsicher. Sie klammern sich an den letzten Rest ihrer Grundschulzeit und tun sich in allen Bereichen schwer, vertrautes Terrain zu verlassen. Manche wirken auf einmal wieder viel kleiner und hilfloser, als sie eigentlich sind.
Wechselbad der Gefühle
Die meisten der Grundschulkinder, die die Schule demnächst verlassen, sind allerdings irgendwo dazwischen und sortieren sich jeden Tag neu zwischen den beiden Polen. Mal sind sie dem Schulalltag ganz und gar entwachsen und haben keine Lust mehr, fühlen sich unterfordert und haben das Gefühl, alles gesehen und gelebt zu haben. Doch im nächsten Moment erschreckt sie der Blick auf das, was kommt. Ein Schulalltag ohne meine beste Freundin? Pausen ohne die Kumpels? Nicht mehr Teil dieser Gemeinschaft? Abschiednehmen? Mit Bus und Bahn in den Nachbarort, die nächste Stadt, einen anderen Stadtteil?
Bei manchen Kindern kann man die Veränderungen sogar in unterschiedlichen Tagesphasen wahrnehmen. Da ist der Schulmorgen, der eigentlich nur noch langweilig ist und ihnen nichts mehr sagt. Da ist der Heimweg mit den anderen Kindern und der Nachmittag mit Freunden. Die Zeit, in der man noch einmal alles zusammenkrallt, was nun so lange wichtig war. Zusammensein, sich mögen und sich streiten. Gemeinschaft suchen, als gäbe es kein Morgen. Und dann kommt irgendwann die Überforderung. Emotionen, die kaum gezeigt werden sollen, weil man dafür eigentlich zu cool ist. Zu groß – und hey – eigentlich ist es doch kein Ding oder? Aber sie können trotzdem nicht einschlafen und das Gedankenkarussell dreht sich. Manche haben Worte dafür. Andere nicht.
Bedürfnis nach Nähe
Vielleicht werden die Abende mit ihnen lang – oder sie stehen nachts auf einmal wieder vor unserem Bett, weil sie dringend kuscheln möchten. Sie brauchen uns, unsere Nähe. Unsere Fürsorge. Wir sind der sichere Hafen, der bleibt, wenn die restliche Welt sich komplett verändert. Diese Phase zu begleiten, das kann ganz schön anstrengend sein. Aber es ist wichtig und es ist wertvoll und wir dürfen darauf vertrauen, dass unsere Kinder gut begleitet in die nächste Phase weitergehen werden. Wieder ein Stück mehr in die Welt. Das Bindungsgummiband wird sich weiter dehnen. Die Momente, in denen sie unsere Nähe suchen, werden irgendwann Geschichte sein. Deshalb ist es okay, jetzt alles zu geben, was gebraucht wird.
Ich wünsche dir und deiner Familie einen warmen und umsorgten Übergang und viel Kraft und Halt im Gewitter der Emotionen.