Wenn Kinder sich altersmäßig langsam in Richtung der Teenager-Jahre bewegen, fühlt es sich manchmal wieder wie schwanger sein an. Nein, nicht weil sie noch einmal in unserem Bauch wachsen. Viel mehr, weil einen auf einmal wieder reihenweise Menschen mit ungebetenen Ratschlägen, Meinungen und vor allem dummen Witzen überhäufen. “Hahaha – du hast ein Pubertier – es schläft unterm Sockenberg und ernährt sich von Pizza – hahahaha”. Meistens ist mir meine Zeit zu schade für eine passende Entgegnung. Fakt ist aber, dass unsere beiden Kater ihre Pubertät mittlerweile hinter sich haben – und unsere Pre-Teens kein Fall für Heinz Sielmann sind. Ganz ehrlich – auch am Beginn der Pubertät gilt, dass wir die Gegenüber von anderen Menschen sind. Dies einzusehen ist dann auch schon der erste wichtige Punkt, wenn wir uns der Frage zuwenden, wie wir als Eltern mit unseren Kindern gut in diese neue Lebensphase kommen.
Körperliche und emotionale Veränderungen beginnen
Als Pre-Teen Jahre bezeichnet man die Altersspanne von etwa 10 bis zum 13. Geburtstag. Unsere Kinder sind in diesen Jahren noch keine Teenager – aber ihre Kindheit neigt sich dem Ende zu und die Pubertät hat begonnen. Dass dem so ist, wird in diesen Jahren körperlich sichtbar – die Kinder verändern sich. Mädchen oft etwas früher, Jungen ein bisschen später. Doch nicht nur körperlich, sondern auch auf vielen anderen Ebenen macht sich Veränderung bemerkbar. Vielleicht fällt uns als Eltern die emotionale Eben auf. Es kann sein, dass Konflikte wieder heftiger und impulsiver werden. Höchstwahrscheinlich fällt es uns manchmal schwer, die emotionalen Reaktionen unserer Kinder richtig einzuordnen. Sie wirken auf uns auf einmal unberechenbarer, stärker schwankend in ihrem Gefühlsleben. Ihre Gehirne verändern sich gerade – und so auch der Teil der für ihre Emotionen verantwortlich ist. Man kann sich das wie einen Raum vorstellen, den man renovieren möchte. Altes muss ausgeräumt werden, vielleicht Tapete abgekratzt und für eine Übergangszeit steht alles an Stellen rum, an denen es normalerweise nicht steht. Nicht nur in diesem einen Raum, sondern meistens auch in der restlichen Wohnung, herrscht ein bisschen mehr Chaos.
Im Gefühlschaos den Überblick behalten
Uns als Eltern kommt die Rolle zu, in diesem Chaos den Überblick zu behalten. Dazu gehört zuerst einmal, dass wir selbst aufgeräumt bleiben. Heftige Emotionen unserer Kinder lösen bei uns oft ebenso heftige Gefühle und Reaktionen aus. Der Grund ist nicht selten, dass uns das, was unsere Kinder uns emotionalen Ausnahmesituationen an den Kopf schmeißen, tatsächlich verletzt. Es ist ja so: Es ist ein Unterschied, ob einem ein wütendes Dreijähriges ein “blöde Mama” entgegen schreit oder ob Heranwachsende uns sagen, dass wir echt scheiße sind, uns nachäffen oder die Türen knallen und hinter sich abschließen, um uns draußen stehen zu lassen.
Bei uns Eltern entsteht in solchen Situationen oft ein ganzer Cocktail an eigenen Gefühlen, die nicht positiv sind. Da ist das Gefühl der Ablehnung, das uns von unseren eigenen, geliebten Kindern entgegen gebracht wird. Vielleicht ist da der Eindruck, gedemütigt worden zu sein – vielleicht meldet unser Gehirn uns auch Gefahr, aufgrund der Heftigkeit der Emotionen. Wichtig ist hier, dass wir uns Zeit für unsere eigenen Gefühle nehmen und diese sortieren. Nicht alle werden nämlich tatsächlich gerade von unserem Pre-Teen ausgelöst. Vielmehr triggert das Verhalten unserer heranwachsenden Kinder nicht selten alte Gefühle, aus Zeiten, in denen wir uns tatsächlich klein, schwach, hilflos, abgelehnt, gedemütigt oder bedroht gefühlt haben.
Das eigene Gefühlsleben anschauen
Auch unsere eigenen Ängste können dazu führen, dass wir in heftigere Diskussionen mit unseren Pre-Teens gehen, als eigentlich nötig wäre und dass wir ihren Reaktionen mehr Bedeutung beimessen, als sie tatsächlich haben. Wenn uns ein größeres Kind anschreit oder beleidigt, melden sich nicht selten Schuldgefühle: Wir fragen uns, was wir falsch gemacht haben oder zweifeln an der Belastbarkeit unserer Beziehung. Doch hier müssen wir uns eins vor Augen führen: Konflikte, auch heftig emotional ausgetragene, sind in dieser Phase normal. Dass wir diejenigen sind, die die heftige Wucht von durcheinandergeratenen Emotionen abbekommen, ist eher ein gutes Zeichen, als ein schlechtes. Es spricht dafür, dass unsere Kinder die Beziehung zu uns als stabil und belastbar empfinden.
Unsere Aufgabe in dieser herausfordernden Phase ist also vor allem, gut für uns selbst zu sorgen. Wenn wir selbst sehr herausgefordert sind und auf Sparflamme brennen, neigen wir eher dazu, die Dinge viel persönlicher zu nehmen, als sie gemeint sind. Denn auch für Pre-Teens gilt, was wir schon öfter übers Kleinkindalter besprochen haben: Meistens meinen sie nicht uns, sondern die Situation.
In der Pre-Teen Zeit ändert sich nicht alles
Überhaupt müssen wir das Rad in der Begleitung von Pre-Teens nicht neu erfinden. Es geht weiterhin darum, dass wir kleine und groß werdende Menschen nicht von oben herab, sondern auf Augenhöhe behandeln sollten. Es geht darum, verlässlich da zu sein. Es geht darum, dass wir unsere Liebe und unsere Nähe bedingungslos schenken. Es geht darum, den größer werdenden Mensch und seine Bedürfnisse zu sehen. Und natürlich geht es um Führung und um Verantwortung. Denn auch die müssen wir weiterhin übernehmen. Doch an dieser Stelle wird es tatsächlich etwas anders.
Wenn unsere Kinder größer werden, brauchen sie mehr Freiräume. Sie brauchen mehr Gebiete, in denen sie sich ausprobieren dürfen und in denen sie auch mal vor eine Wand rennen oder Fehler machen können. In manchen Bereichen neigen wir als Eltern dazu, ihren Wunsch nach mehr Freiheit aus Angst auszubremsen. Tatsächlich kann es natürlich nicht unser Ziel sein, einfach alles nach ihrem Wunsch laufen zu lassen. Das wäre für unsere Heranwachsenden überfordert und käme Vernachlässigung gleich. Vielmehr geht es darum zu schauen, wo ihnen Autonomie gut tut und wo sie sie gut übernehmen können. Dazu gehört auch eine gewisse Toleranz für Fehler und falsche Wege. Denn ja – unsere größer werdenden Kinder werden auch mal scheitern. Auch das sind wichtige Lernerfahrungen.
Auch in der Pubertät braucht es ein warmes Nest
Bei all dem sollte auch weiterhin gelten: Unser Zuhause bleibt das warme Nest. Hier ist der sichere Ort, an den sie kommen können, so wie sie sind, mit allem, was auch mal schiefgelaufen ist. Hier ist die Basis. Auch weiterhin ist es wichtig, dass wir für genügend Raum zum Austauschen sorgen und dass wir unseren Kindern als ansprechbare Gegenüber erscheinen. Es geht weiterhin darum, dass wir einfach DA sind.
Und ist es jetzt ein Grund für Mitleidsbekundungen, wenn jemand Kinder hat, die in die Pubertät kommen? Nun ja, es wäre gelogen zu behaupten, dass größer werden nicht auch herausfordernd ist, für die Kinder und auch die Erwachsenen, die sie dabei begleiten. Die Pubertät stellt dabei besondere Herausforderungen – besonders deshalb, weil mit ihr auch immer ein Stück Ablösung verbunden ist. Tatsächlich müssen wir mit älteren Kindern auch die Erfahrung machen, dass unser Stern weniger hell leuchtet – und viele andere aufgehen. Das kann und darf auch schmerzhaft sein. Und ja, wir dürfen uns da gegenseitig Mitgefühl schenken. Gleichzeitig sollten wir aber auch sehen, was für eine spannende Phase wir da begleiten können und dass es letztlich auch darauf ankommt, wie wir diesen wachsenden Menschen begegnen. Wenn wir unseren Idealen der vorherigen Jahre treu bleiben, muss die Pubertät nicht zu einer Schreckenszeit werden. Im Gegenteil.
Zum Weiterlesen empfehle ich euch übrigens Inke Hummel, die ein ganzes Buch (Miteinander durch die Pubertät) zu diesem Thema geschrieben hat. Außerdem hat Anna von berlinmittemom sehr viele tolle Texte zu größer werdenden Kindern.
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