Während vorhin meine mittlerweile schon traditionellen Neujahrsmuffins im Ofen buken, dachte ich darüber nach, ob ich einen Jahresrückblick schreiben sollte. Von 2020? Ich wusste es auch nicht. Während ich so grübelte, fiel mein Blick auf meinen Spotify-Jahresrückblick und ich beschloss, ihn mal anzusehen.
Ich lachte Tränen. Und weinte Tränen. Und lachte wieder. Dieser Rückblick, der stellenweise völlig absurd anmutet, ist sowas von 2020 – sowas von mein 2020. Auf Platz 1 ist überraschende Kontinuität. What a beautiful name von Hillsong Worship begleitet mich jetzt schon seit einigen Jahren durch den Alltag. Kein Wunder, dass es gerade in diesem Jahr wieder weit vorne gelandet ist. Platz 3 hingegen hat mich zum Lachen gebracht und ist unsere Familiengeschichte 2020 in einem Lied erzählt. Wir heinzeln das! Als mein Mann im Januar 2020 nach Israel flog, war ich selbst voller Tatendrang. Wer mich kennt weiß, dass ich diese Wochen im Jahr nicht mag, in denen er so lange am Stück so weit weg ist. Doch diesmal dachte ich, ich hätte gut genug geplant, um diese Zeit gut rumzubekommen. Doch Florian saß noch nicht mal im Flieger, als 2020 zum ersten Stinkefinger ansetzte – denn anstatt im Park, im Museum, im Schwimmbad und mit Freunden unterwegs, saß ich die nächsten vier Tage im Schlafzimmer und hielt Kotzschüsseln. Als Land an der Magen-Darm Front in Sicht war, stürzte ein Kind die Treppe runter und verstauchte sich den Fuß. Legendär ist übrigens die Antwort SMS, die mir mein Mann auf diese Mitteilung schrieb: SCHÜSSE. An einem Tag, der in Israel sowieso sehr kippelig und sicherheitstechnisch angespannt war. (Er meinte übrigens SCHEISSE – Autokorrektur sei Dank war alles in bester Ordnung). Als wir irgendwann alle wieder mobil waren, feierten wir das im Kino und sahen den Film Die Heinzels – die Rückkehr der Heinzelmännchen. Wir heinzeln das wurde daraufhin zu unserer Hymne für die restlichen Tage, bis Flo wieder da war.
„Eins habe ich dir übrigens verschwiegen, um deine Nerven zu schonen“ sagte er als wir Spätabends nach seiner Wiederkehr bei einem Glas Wein zusammensaßen, „als wir das eine Krankenhaus in Tel Aviv besichtigt haben, wurde gerade der erste Corona-Patient dort eingeliefert.“ Ich zuckte mit den Schultern. Was sollte mich daran schon aufregen?
„ALLES“ sagte meine Freundin, als ich ihr davon erzählte – und ich hielt sie für ein bisschen überspannt. Noch war ich voller Tatendrang. Jetzt, da die anstrengenden Tage hinter mir lagen, wollte ich durchstarten. Ich war als Referentin für so viele tolle Vorträge gebucht und ein riesiges digitales Projekt war in Planung. Doch dann wurde nach und nach alles abgesagt. Als mein Mann auch seinen großen Jahreskongress cancelte und stattdessen ein digitales Format aufstellte, wusste ich es. Meine Freundin hatte recht. An Corona war ALLES beunruhigend.
Der Rest ist bekannt. Die Schulen schlossen und alle Geschäfte, die nicht der Grundversorgung dienten. Die Heinzels sollte unser einziger Kinofilm 2020 gewesen sein – doch sein Soundtrack begleitete uns durch das Jahr – Wir heinzeln das wurde zu unserem Lied, mit dem wir den Tag starteten. Jeden einzelnen neuen Tag zwischen Homeschooling, Arbeit und Home-Kindergarten.
Unter meinen Top-Ten Hits landete außerdem die „Sound of Silence“ Version von Disturbed. Eine düstere und gleichzeitig kraftvolle Coverversion. Auch sie begleitet mich schon länger und sagt viel von 2020. Denn Dunkelheit hatte das Jahr nicht zu wenig. Neben dem Lockdown hielt es Krankheit, Tod und Sterben bereit. Wir nahmen Abschied von meiner Oma und ich musste den Kindern die schlimme Nachricht überbringen, dass ihr geliebter Kater Pan überfahren wurde. Ich begleitete Freunde durch schlimme Verluste, Trennungen und riesige Kübel voll Mist, die 2020 vor ihnen ausgekippt hatte. Es gab Tage, da merkte ich, dass mein Herz nicht mehr hinterher kam und sich gegen all den Schmerz von außen verschließen wollte. Das waren die Tage, an denen ich hartherzig mit dem Finger auf andere zeigte und das Wort Covidiot Einzug in meinen Wortschatz hielt.
Meine Playlist mit Lobpreis für den Alltag dudelte rauf und runter und ich versuchte damit die Lücke zu füllen, die durch den Wegfall von Präsenzgottesdiensten, Offline-Treffen mit dem Hauskreis und gemeinsame kirchliche Aktivitäten entstanden ist.
Die am meisten gehörten Künstler auf meiner Playlist sind Die Eiskönigin, Zack Storm und Paw Patrol und auch das sagt viel über das Jahr aus – und den wenigen Raum für mich selbst. Die meisten Podcaststunden habe ich 2020 mit Das Wort und das Fleisch von Thorsten Dietz und Martin Christian Hünerhoff verbracht. Und wenngleich das ein sehr guter Podcast ist, will ich nicht verschweigen, dass das eine weitere Wahrheit 2020 verrät – ich habe sehr wenig Podcast gehört – denn mein Handy wurde ja für Eiskönigin und Paw Patrol gebraucht. Zeit für mich – zum Daniela sein – war knapp gesät und wertvoll dieses Jahr und wenn ich sehe, dass zwei andere viel von mir gehörte Podcasts von Michelle Obama und Carsta Maria Müller stammen, habe ich sie wenigstens mit hochwertigem Input verbracht.
Mein 2020 auf Spotify – das klingt nach Lobpreis, Dunkelheit und Galgenhumor und irgendwie ist das auch treffend. Doch natürlich ist das nicht die ganze Geschichte. Denn meine Playlist erzählt nicht von meinem Mutanfall im Mai, als ich ein Exposé für ein Buchprojekt schrieb und todesmutig an den Neukirchener Verlag schickte – mein Herz und meine Bauchmuskeln spannten sich fest an, in Erwartung eines neuen Tiefschlags in Form einer Ablehnung – und wurden ganz weit und sprudelten über vor Glück, als man mir im Spätsommer schrieb, dass ich jetzt mit dem Schreiben anfangen dürfe. Aus meinem Handy dudelte aus einer albern-nostalgischen Laune heraus Let the dream come true von DJ Bobo und ich verbrachte die zweite Jahreshälfte 2020 hauptsächlich am Laptop – und genoss jede Minute.
Mein Herz ist noch ein paar Mal vor Freude aus fast aus der Brust gehüpft dieses Jahr. Jedes Mal nämlich, wenn mir jemand von Babys erzählte, die demnächst geboren werden oder in Familien ankamen. Und einmal, kurz vor Ende dieser irren zwölf Monate, hat mein Herz Beine bekommen und hüpft seither ein paar Kilometer von mir entfernt durch die Gegend (naja, eigentlich wird es getragen) – in Form meines kleinen Neffens. Und ich finde es immer wieder erstaunlich, wie sehr kleine Menschen die Einschätzung der Realität verzerren können. Wie sie dafür sorgen, dass wir 2020 nicht so einfach als Seuchenjahr stehenlassen können, sondern auf einmal daraus ein Jahr voller Wunder wird. Ein Jahr voller unvergesslicher Schönheit, wilder Liebe, idiotisch unverdienter Gnade und Hoffnung, die alles überstrahlt. Deshalb passt es auch, dass auf dem Titelblatt einer der letzten Lokalzeitungsausgaben in diesem Jahr meine Hausärztin abgebildet war – wie sie die ersten Menschen gegen Covid 19 impfte.
Wie passend, dass sich auf meiner Playlist 2020 zwischen What a beautiful Name und den Heinzels noch Light of the Word (Here I am to Worship) befindet. Ich hoffe, dass das Licht jedes Jahr in meinen Top 10 landet.
Alles Gute für 2021 und einen Guten Rutsch wünscht euch
Daniela