Von Sinn und fehlender Adventsidylle

War es jemals so grau und dunkel wie heute? Die Frage habe ich mir gestellt, als ich heute morgen gegen acht Uhr in unser Wohnzimmer kam und nach draußen geschaut habe. Nichts als graue Soße vor meinem Fenster. Nichts als Matsch in unserem Garten, der mal wieder kein Garten, sondern eine Baustelle ist, weil wir einen Holzverschlag bauen und das Wetter uns dabei nicht gerade in die Karten spielt.

Adventszauber muss man suchen, in unserem chaotischen Wohnzimmer, in dem sich Bastelmaterialen neben geköpften Barbiepuppen in den Ecken tummeln, die Reste vom Frühstück noch auf dem Tisch stehen, dazwischen mein Laptop, auf dem ich noch Mails beantworten, Rechnungen schreiben und letzte Beratungen organisieren muss. Unsere Wohnzimmerscheiben waren schon einmal schöner dekoriert. Diesmal wirken ein paar selbstgebastelte Schneeflocken wie Fremdkörper neben Fingerabdrücken und der Schmiere vom Dreck aus dem Garten. Rica das Schaf und seine Freunde haben es schwer, dazwischen einen Hauch von Weihnachten in die Welt zu tragen.

Nur das Küchenfenster erinnert daran, dass hier gestern wirklich so etwas wie Adventszauber versprüht wurde. Grün und spiegelverkehrt lacht mich eine 21 an, wann immer ich in diese Richtung schaue. Ja, gestern habe ich es kurz geschafft, die Dauerschleife aus Dunkelheit, Isolation und Gereiztheit zu durchbrechen, die sich über uns gelegt hat, in diesem Dezember. Für den lebendigen Adventskalender unserer Gemeinde habe ich ein Fenster dekoriert, eine Geschichte auf YouTube vorgelesen und allen, die es wollten, ein weiteres Puzzleteil für eine Krippenszene und ein kleines Mitgebsel vor die Tür gelegt.

Am Vorabend schwand meine Lust auf diese Aktion. Ich habe doch sowieso soviel zutun und unser Vorgarten sieht nicht viel besser aus, als die Baustelle auf der anderen Seite. Von Advent ist da nicht viel zu erkennen. Vergammelte Herbstdeko, verstreute Inliner, ebenso wildlagernde Gummistiefel und die noch nicht weggeräumte Kiste mit den Sitzkissen für den Sommer zeigen jedem, der sich zu uns verirrt, dass wir die wahrscheinlich einzige Familie sind, die im Lockdown nicht auf einmal über Unmengen an Zeit verfügt und alles besonders besinnlich machen kann.

Doch dann holte ich mir die Kiste mit den Aufklebern bei der Frau ab, die am Vortrag dran war und wir kamen ins Gespräch. Über dies und das. Christliche Podcasts und wie sie uns in diesen schweren Zeiten prägen und zum Nachdenken bringen, die düstere Lage der Nation und natürlich die Schulen. Zwischen all dem Jammern und Stöhnen erzählte sie mir von einem Artikel, den sie kürzlich gelesen hatte und dem einen Gedanke, der sie besonders angesprochen hat: So eine Pandemie ergibt, anders als von manchen herbeiorakelt, keinen Sinn. Sie hat keinen. Doch wir können sie besser überstehen, wenn wir selbst im Kleinen immer wieder Sinn stiften.

Sinn stiften im Kleinen – das war an diesem Tag mein Küchenfenster. Es war der Weg dahin, den ich doch schön machte und es waren die Inliner und Gummistiefel, die ich verstaute, um Platz für Puzzleteile und Geschenkröllchen zu machen. Zu mir kommen zu können und einen schönen Ort vorzufinden, das war für viele gestern der Grund, aus dem Haus zu gehen. Hinaus in das Einheitsgrau und durch den Regen, den sie sonst vielleicht trüb und genervt auf der Couch ausgesessen hätten. Für mich ergab sich der Sinn durch das Leben vor meinem Küchenfenster, das da auf einmal tobte. Durch die fröhlichen Stimmen meiner Kinder, die immer wieder riefen: Da kommt wieder wer. Es ist Greta, Mama, es ist Greta. Manchmal habe ich nur dezent im Augenwinkel gesehen, dass da wieder irgendwer zu meiner Bank gelaufen ist. Dann wieder habe ich schon von Weitem erkannt, dass da wer kommt und das Fenster weit aufgerissen, um ein paar Worte mit lieben und gerade so schmerzlich vermissten Menschen zu sprechen. Dann wieder waren da Leute, die hatte ich noch nie in meinem Leben gesehen. Viele kamen ganz ohne dass ich sie bemerkt hatte und ich sah hinterher nur, dass wieder ein paar Päckchen mehr fehlten. Doch alle hinterließen etwas. Kleine zauberhafte Segenspuren in meinem Vorgarten.

Als alle weg waren und es wieder regnete, kam unser Kater heim. Dreckig und blutend. Während mein Mann mit ihm in die Tierklinik fuhr, drohten Glitzerglanz und Herzenswärme zu bröckeln, als eine Freundin vor dem Fenster auftauchte. Wie vom Himmel geschickt, um ihr Mitgebsel zu holen, ein Geschenk für eins der Kinder reinzureichen und ein paar tröstende Worte dazulassen.

Heute morgen ist es noch grauer als gestern. Vor dem Fenster ist es wieder leer. Die Kiste habe ich im Nieselregen zum nächsten Haus gebracht, zu dem sich heute alle aufmachen dürfen, die in diesem Einheitsgrau ein bisschen Licht und Abwechslung suchen. Dem Kater geht es wieder besser, der Garten ist zusätzlich zum Baustellenchaos vom vielen Regen komplett aufgeweicht und das Katzenklo stinkt. Die Kinder verbreiten kreatives Chaos, wenn sie nicht gerade lautstark streiten. Gleich werde ich Sinn stiften. An manchen Tagen ergibt eine Zahl auf dem Küchenfenster Sinn. An anderen unsere stetige Treue im Alltagsgrau. Das Aushalten. Das Wegräumen der Früschstücksteller. Das Weitergeben einer Kiste. Das Basteln von letzten Geschenken und das Ertragen von streitenden Kindern.

Vielleicht sind Wege durch schlammige Gärten und Frank Sinatra, der ins Chaos dudelt, statt in die Instagram taugliche Adventsidylle am Ende sogar viel weihnachtlicher als das, was wir bisher für echtes Weihnachten gehalten haben. Wenn ich mir das Schaf Rica und ihre Hirten an meinem dreckigen Fenster anschaue, fühle ich mich jedenfalls in dieser Vermutung bestärkt.

Fotos: Inka Englisch (Link)

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