Die Zeiten sind irre. So hätte ich in den letzten sieben Monaten jeden einzelnen Blogbeitrag beginnen können. So auch jetzt. Sie sind irre, die Zeiten in denen wir leben und sie verlangen einiges von uns ab. Die Pandemie stellt uns als Eltern nicht nur vor eine große Herausforderung, weil unsere Sicherheiten schwanken und weil wir nie wirklich gut planen können, sondern auch, weil es viele Punkte abzuwägen gilt.
Es stehen so viele Fragen im Raum: Was wiegt schwerer, eventueller Unterrichtsausfall oder die Infektionsgefahr in Schulen? Ist es in Ordnung, einen Kindergeburtstag zu feiern oder kann der schnell zum Superspreader-Event werden? Welche Maske soll mein Kind tragen und schadet die ihm auch wirklich nicht? Kein Wunder, dass die Nerven manchmal blank liegen. Gerade in sozialen Netzwerken kann man das beobachten. Dabei hilft all das nicht – wir sollten besonnen und pragmatisch bleiben.
Doch wie geht das, besonnen bleiben, wenn sich quasi jeden Tag die Voraussetzungen für unseren Alltag ändern? Wenn wir überall mit Informationen zugeballert werden, die sich zeitweise widersprechen? Ich glaube, das geht nur mit einer pragmatischen Herangehensweise. Ich habe mal ein paar Punkte gesammelt, die mir helfen, die Nerven zu behalten:
Am Alltag festhalten
Alltag – das ist schon immer das, was uns hier trägt. Die kleinen Rituale geben uns Halt. Die kurze Zeit am Morgen, in der wir alle gemeinsam um den Tisch sitzen und eine Kerze brennt. Unsere Teerunden am Nachmittag und auch die Tatsache, dass wir, besonders die Kinder, da wo es geht, noch immer Freunde treffen. Wir krallen uns an unsere täglichen Routinen und lassen uns durch sie durch die Tage gleiten. Oft sind wir dadurch so im Flow, dass wir gar nicht viel darüber nachdenken, was da draußen gerade passiert.
Gezielt informieren
Wenn man möchte, kann man sich derzeit den ganzen Tag mit Corona beschäftigen. Irgendwo ist immer ein Artikel mit einer angeblich neuen Erkenntnis. Irgendwo berichtet immer jemand über seinen eigenen, natürlich jedes Mal höchst dramatischen Verlauf. Irgendwo sind immer die neusten Zahlen zu haben, werden die neusten Regelungen diskutiert oder berichtet, in welcher Schule es nun wieder zu einem Ausbruch kam. Manche dieser Infos brauchen wir, um gut durch die Zeit zu kommen. Andere sind zu viel, haben kaum einen inhaltlichen Nutzen und schüren höchstens Panik.
Ich informiere mich daher dosiert und gezielt. Ein morgendlicher Blick auf die Tagespresse ist seit Jahren meine Routine und natürlich schaue ich da jetzt auch, wie die Corona-Situation aussieht. Einmal am Tag schaue ich auf die Zahlen in unserem Kreis und im benachbarten Kassel. Mir hilft das, um einzuschätzen, wo wir gerade realistisch stehen und um besonnen zu bleiben, auch wenn die Zahlen natürlich steigen. Darüber hinaus versuche ich, nicht mehr viel zu lesen, sondern mich mit anderen Dingen zu beschäftigen.
Nicht mehr als nötig wissen
Ich habe Leute, die sind unglaublich gut über die derzeitige Situation informiert und beschäftigen sich weit mehr mit Zahlen, dem Zusammenhang zwischen Krankenhausbetten und Erkrankten, Spätfolgen und Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft. Manches davon finde ich spannend. Anderes macht mich nur unnötig kirre. Ich versuche daher, keine Geschichten über Verläufe zu konsumieren, mich nicht mit Schwankungen in den Todeszahlen zu beschäftigen oder irgendwelche komplizierten Rechenmodelle (wie sie zum Teil bei meinem Mann auf dem Schreibtisch landen) über das Verhältnis Intensivbetten/Pflegekräfte/zu erwartende Covid-Fälle nachzuvollziehen. Das nützt mir nichts. Ich schaue mir auch keine verschiedenen (sich widersprechenden) Simulationen zu Aerosolen in Klassenzimmern an. Ich weiß, dass das Ansteckungsrisiko in Schulen vorhanden ist, und ich versuche trotz dessen besonnen zu bleiben, denn das halte ich für den besten Weg, zumal ich an der Schulpflicht auch gerade nichts ändern kann.
Entscheidungen nicht rechtfertigen
Wir haben für uns als Familie einen Umgang mit der Situation gefunden, der gut passt. Ich würde ihn als besonnen, pragmatisch und flexibel beschreiben. Wir meiden unnötige Menschenansammlungen. Wir nehmen Corona sehr ernst und versuchen Entscheidungen Pandemie-tauglich zu treffen. Es gab Zeiten, da habe ich unseren Umgang ziemlich oft gerechtfertigt. Den eher risikofreudigen Menschen musste ich erklären, warum wir zurückhaltend bleiben. Denjenigen, die die Gefahr der Pandemie mit der, an Krebs zu erkranken vergleichen, habe ich erklärt, warum ich das anders sehe. Denjenigen, die sich noch viel mehr zurücknehmen, habe ich erklärt, warum ich dieses oder jenes für unbedenklich halte.
Es war anstrengend. Und gerade jetzt, wo die Zahlen wieder steigen und uns ein wohl nervenaufreibender Winter bevorsteht, kostet das unnötige Kraft. Von daher erkläre ich unseren Weg nicht mehr. Ich diskutiere ihn nicht aus. Ich habe mir eine “Wir machen das so – basta” Haltung zugelegt. Denn letztlich ist es unser Leben. Es geht um unsere Familie und um unsere Haltung dazu. Basta.
Besonnen bleiben statt weit voraus denken
Die Pandemie gibt viel Anlass für Kopfkino. Was wäre wenn…
…ein Kind in Quarantäne müsste? Würden wir uns mit isolieren? Müsste es allein in seinem Zimmer bleiben? Was wäre mit den Geschwistern? Was wenn sich einer von uns ansteckt?
…wir die Großeltern wieder auf Abstand halten müssten? Und die Feiertage kämen? Es jemandem nicht gut geht? Was wenn wieder jemand liebes im Krankenhaus liegt, wie im Frühling meine Oma und wir wieder nicht hindürften?
…die Schulen doch wieder schließen? Stehe ich noch ein Homeschooling durch? Wie machen wir das diesmal mit dem Kitakind? Wann schaffe ich meine Arbeit?
…kann man Weihnachten ohne Klopapier, Nudeln und Hefe feiern? Und was wenn die Menschen anfangen, Lebkuchengewürz zu hamstern?
Und wisst ihr was? Es bringt nichts, so weit in die Zukunft zu schauen. Meine Freundin Sandra von 7geisslein sagt in solchen Fällen oft day by day by day. Und so ist es. Um gut durch diese Zeit zu kommen, ist es wichtig, aufs Heute zu schauen. Vielleicht noch auf den nächsten Tag, im Sinne einer guten Planung. Es ist okay, einen Essensplan für die ganze Woche zu machen, aber nicht, die Feiertage durchzuplanen. Alles darüber hinaus ist Spekulation und hilft niemandem. Besonnen bleiben bedeutet eben auch, auf Sicht zu fahren.
Mich mit besonnenen Menschen umgeben
Ihr wisst, dass ich normalerweise eine Freundin von Pluralismus bin. Ich umgebe mich gern mit unterschiedlichen Menschen und bringe Leute mit verschiedenen Meinungen an einen Tisch. Ich kann zuhören und aushalten, wenn jemand anders denkt. Doch auf die derzeitige Situation trifft das nicht zu. Denn es geht hier nicht um theoretische Konstrukte, es geht nicht um große Weltfragen, die wir nicht lösen können. Es geht nicht um Ideologien und nicht politische Ansichten. Es geht verdammt noch mal darum, dass sich jeder einzelne am Riemen reißt und seinen Teil dazu beiträgt, dass wir alle gut durch diese Herausforderung kommen. Menschen, die das nicht einsehen, und die, anstatt einfach mal ein blödes Stück Stoff über Nase und Mund zu spannen, alternative Fakten googeln und sie mir unter meine bemaskte Nase reiben wollen, kann ich gerade nicht gebrauchen.
Gerade in solchen Zeiten brauche ich Menschen um mich herum, die mich in meinem Handeln bestärken und die mich daran erinnern, dass die Welt nicht ganz so irre ist, wie sie gerade erscheint. Ich brauche auch niemanden, der aus Frust über Einschränkungen die statistische Unwahrscheinlichkeit ausrechnet, zu erkranken und deshalb Halligalli weiterlebt. Ich brauche Leute mit Sinn, Verstand und Pragmatismus an meiner Seite, denn an manchen Tagen ist selbst ein Basta noch zu anstrengend.
Lachen für die Gelassenheit
Die Zeiten sind so irre, wie sie nun einmal sind und eigentlich gäbe es genügend Anlass, den ganzen Tag mit Sorgenfalten durch die Gegend zu laufen. Viele haben ihre Berechtigung. Aber das bringt uns nicht weiter. Zum Besonnen bleiben gehört einfach auch, den Spaß nicht zu verlieren. Ich finde es gerade in belastenden Situationen wichtig, sich ab und zu richtig kaputt zu lachen. Wir schauen lustige Sitcomes oder Kalkofes Mattscheibe, wir versuchen manches Geschwurbel, was an uns herangetragen wird, mit Humor zu nehmen – und vor allen Dingen probieren wir, uns selbst nicht ganz so fürchterlich ernst zu nehmen. Es klappt nicht immer, aber jedes Mal, wenn es funktioniert, dann ist es echt befreiend.
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