Eltern sein, Familie leben

Die Auswirkungen von Schulschließungen. Warum Bildungspanik uns nicht weiterbringt

Die Diskussion um die Schulschließungen und Wiedereröffnungen nimmt ja schon länger ziemlich absurde Formen an. Meinen persönlichen Höhepunkt hatte ich auf Twitter, als eine wissenschaftliche Mitarbeiterin eine Studie ihres Profs, die dieser zu einem zwölfmonatigen belgischen Lehrerstreik gemacht hatte, unangepasst auf die aktuelle Situation übertrug.

Ich war gerade dabei, ihr noch einmal zum Besuch des Grundkurses “Wissenschaftliches Arbeiten I” zu raten, als ich feststellte, dass besagter Prof. mit selbiger These bereits durch diverse Medien getingelt ist. Abgesehen davon, dass er der Wissenschaft als solcher einen Bärendienst erweist, wenn er seine belgischen Ergebnisse durch vier teilt und auf Corona-Deutschland überträgt, schürt er damit Bildungspanik, die niemand brauchen kann. Heute nicht und auch sonst zu keiner Zeit.

Aber vielleicht sollten wir an dieser Stelle tatsächlich einmal kurz die Luft aus diesem aufgeblasenen Ballon lassen, tief durchatmen und uns ein Milchschaumgetränk und einen Schokoriegel holen. Und dann schauen wir uns diese ganze Lage mal in Ruhe an. Und zwar aus erziehungswissenschaftlicher Sicht. Also – bist du bereit?

Worum geht es eigentlich?

Wenn wir über Schule reden, dann geht es den meisten Eltern vor allem um eins: Nämlich darum, dass unsere Kinder gute Voraussetzungen für ein erfülltes, materiell abgesichertes Leben bekommen. Das ist ein durchaus legitimer Wunsch. Und wir glauben, dass das heute mit einer guten Schulbildung am besten geht. Dass wir das glauben, hat einen guten Grund. Viele von uns haben nämlich genau das erlebt. Nicht wenige Menschen aus meinem Freundeskreis haben sich in der Schule einigermaßen angestrengt. Sie waren nicht unbedingt Klassenbeste, aber einigermaßen dabei. Viele haben einen Schulabschluss gemacht, der höher als der ist, den die eigenen Eltern vorzuweisen haben.

Diese, unsere eigenen Eltern, haben uns dabei wenn es gut lief, unterstützt. Und vielleicht haben sie uns auch gesagt, dass wir es dann am Ende mal besser (in materieller Hinsicht) haben, als sie selbst. Und da sind wir schon bei der ersten Krux des Themas. Das hat sich nicht unbedingt bei allen Bewahrheitet. Denn schon heute ist ein höherer Bildungsabschluss nicht mehr automatisch ein Garant für ein höheres Einkommen. Es müssen noch einige andere Faktoren zusammenkommen, damit das passt.

Dennoch kann man natürlich im Moment sagen, dass Bildung sich im Großen und Ganzen rechnet. Bisher. Doch für die Zukunft werden wir uns fragen müssen, welche Bildung wirklich die ist, die unsere Kinder brauchen. Es ist nämlich nicht davon auszugehen, dass der Arbeitsmarkt in fünfzehn bis zwanzig Jahren der ist, den wir heute kennen. Die Dinge verändern sich rasant. Unsere Kinder werden allen voran in der Lage sein müssen, Wandel zu gestalten und sich auf neue Situationen einstellen zu können. Was wichtiger sein wird, als der Schulabschluss, wird die Lernbegeisterung sein. Unsere Kinder werden nicht davor zurückschrecken dürfen, Neues zu lernen. Sie werden für die Zukunft einen positiven Bezug zum Lernen haben müssen. Es muss ihnen Spaß machen.

Wie werden Kinder lernbereit?

Doch wie werden unsere Kinder grundsätzlich lernbereit? Nun, die Voraussetzung fürs Lernen ist, dass es ihnen gut geht. Unsere Kinder müssen zu allererst ihren Platz im Leben finden. Sie brauchen ein sicheres Fundament, auf dem sie erst einmal wachsen dürfen. Und ihr ahnt es sicher? Dieses Fundament ist eine sichere Bindung. Und darauf aufbauend brauchen unsere Kinder ein sicheres Beziehungsgeflecht – ihr Netz an Menschen wird größer und mit der Bindung als Fundament fällt es ihnen leichter, Beziehungen zu knüpfen. Zumindest wenn die Erwachsenen, die ihnen begegnen, selbst beziehungsfähig sind. In diesem Netz aus konstruktiven, positiven Erfahrungen kann Lernen gelingen. Und zwar das, was wir an Lernen haben wollen. Ich spreche hier nicht von stupidem Pauken und Wiedergeben auf Kommando. Ich spreche von Lernerfahrungen, die sich festigen, die sich einbrennen und die neugierig auf mehr machen. Es geht um eine Art des Lernens, bei der sich Stoff erschließen darf. Denn das ist das, was dauerhaft hängenbleibt.

Diese Art des Lernens findet man, wenn es gut läuft, auch in Schulen und Kindergärten. Und für einige Kinder, die diese konstruktiven, wertschätzenden Geflechte nicht zu Hause vorfinden, sind diese Institutionen eine riesige Lebenschance. Aber wir müssen hier realistisch bleiben – gerade unser statisches, eingestaubtes Schulsystem macht es den darin handelnden Personen sehr schwer, diese Chancen tatsächlich zu bieten. Realitätsferne Lehrpläne und Strukturen sorgen dafür, dass man bei mancher Schulkarriere am Ende sagen kann, dass jemand trotz Schule Lernfreude hatte – und nicht wegen ihr.

Die Folgen der Schulschließung

Doch wie wirkt sich das nun aus, wenn Schule ein paar Monate ausfällt? Was die sozialen Bedürfnisse unserer Kinder angeht kann man sagen, dass die Schul- und Kitaschließungen durchaus negative Auswirkungen hat. Denn unsere Kinder sind soziale Wesen. Sie möchten zu einer Gruppe dazugehören – und je älter sie werden, desto mehr ist diese Gruppe auch außerhalb der Familie. Sie sehnen sich nach Anerkennung von anderen, nach Gemeinschaft und Nähe. Gerade Kinder, die in ihren Familien wenig konstruktive Erfahrungen machen können, leiden enorm unter dieser Situation. Von anderen Themen wie Gewalt und Missbrauch, der nun unentdeckt bleiben musste, mal abgesehen. Es gibt also definitiv schädliche Auswirkungen dieser Maßnahmen.

Doch was ist nun mit der Bildung unserer Kinder? Müssen wir wirklich, wie der oben erwähnte Ökonom errechnet hat, fürchten, dass unsere Kinder drei Prozent weniger Lebenseinkommen verdienen werden, aufgrund des Lockdowns? Mal abgesehen davon, dass wir immer, wirklich immer, aufhorchen sollten, wenn Ökonomen anfangen, den Lohn von Bildung zu errechnen, ist dieses Rechenspiel allzu simpel. Ich könnte es jetzt seitenlang zerlegen. Allerdings entspreche das nicht dem Leseverhalten meiner Blogleser. Deshalb mache ich es kurz: NEIN.

Wir dürfen uns, was den Schulstoff angeht, wirklich komplett entspannen. Es ist nichts passiert. Alles, was unsere Kinder und Jugendlichen an Stoff verpasst haben, ist entweder verzichtbar oder kann nachgeholt werden. Die Probleme, die durch die Schließung von Schulen und Kindergärten entstehen, sind vielfältig und nicht zu unterschätzen. Aber ich möchte eins klarstellen: Der Schulstoff ist nicht Teil dieser Probleme. Wir brauchen weder überstürzte Komplettöffnungen, noch die Einführung von Samstagsunterricht oder die Kürzung der Sommerferien, um hier Abhilfe zu schaffen. Wir brauchen intelligent überarbeitete Lehrpläne, entstpannte Eltern, Lehrer, die ihre Akkus wieder vollladen und dann motiviert weitermachen können und einen gut durchdachten Plan. Am besten einen der auch mit einkalkuliert, dass Schulen vielleicht noch einmal schließen oder gar nicht wieder erst im Regelbetrieb öffnen können. Und bitte – wir brauchen Politiker, die nicht durch blinden Aktionismus auffallen, sondern dadurch, dass sie die Profis bei ihrer Arbeit unterstützen.

4 Kommentare zu „Die Auswirkungen von Schulschließungen. Warum Bildungspanik uns nicht weiterbringt“

  1. Hi Daniela,
    danke für den Text, hat mir gut gefallen und ich hab ihn gern gelesen! Ich würde mich über eine “seitenlange Zerlegung” der Thesen des Ökonomen sehr freuen. Könntest sie ja in einem Spezial-Blogartikel für besonders Interessierte nachreichen? Das wäre spitze! LG Barbara

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