Oh wie bedürftig wir gerade alle sind! Vielleicht zum ersten Mal überhaupt in unserem Leben wird uns bewusst, wie wenig wir aus uns selbst in der Hand hatten. Bisher war unser Leben ein Höher, Schneller, Weiter. Unsere Zeit – das war die gute Zeit.
Die, die so weit weg war von den Geschichten unserer Eltern und Großeltern. Kein Hunger. Kein Krieg. Kein Leid. Alle Gaben dieser Erde im Überfluss. Jederzeit verfügbar. An jedem Ort. Soviel wir wollten. Das waren wir. Die 1980er Jahre Wohlfühlgeneration. Aufgewachsen ohne existenzielle Krisen. Wir dachten, dass das immer so bleiben wird. Wir fühlten uns unbesiegbar. Bis letzte Woche. Dann drückte jemand den Reset-Knopf. Und nun stehen wir da. Müssen gleichzeitig alles geben und spüren sie: Unsere Bedürfnisse als Eltern – so überdeutlich.
Wir sind bedürftig: Bedürftig nach Sicherheit. Bedürftig nach Freiheit. Bedürftig nach Liebe. Bedürftig nach Wertschätzung. Nach Anerkennung. Danach, irgendwo auch jetzt noch dazu zu gehören. Wir möchten uns selbst verwirklichen und irgendwo wirksam sein. Doch die meisten von uns sind gerade an einem anderen Ort. Zuhause. Unser Platz ist im Unsichtbaren. Im Ungehörten. Im Ungesehenen. Ohne die Sozialkontakte, die uns sonst immer tragen. Ohne die Unterstützung. Viele von uns in großer Sorge um geliebte Freunde und Verwandte. Andere in Angst vor dieser unbekannten Welle, die gerade beginnt, auf uns zu rollen. Unsere Sicherheiten wanken, wie nie in unserem Leben.
Ungestillte Bedürfnisse fordern ihr Tribut. Sie spiegeln sich wider in unserer Stimmung. In dem Maß an Geduld, dass wir aufbringen können. Sie lassen uns nachts schlechter schlafen oder tagsüber todmüde sein. Und doch neigen wir dazu, unsere eigene Bedürftigkeit so weit nach hinten zu schieben, wie es nur geht. Doch was passiert mit uns, wenn wir unsere eigenen Bedürfnisse nicht mehr gut spüren? Wir sind auch weniger offen für das, was andere Menschen brauchen. Wir verlieren ein Stück unserer Feinfühligkeit, auch unseren Kindern gegenüber. Doch genau die brauchen uns jetzt so sehr.
Unsere Aufgabe dieser Tage ist also vor allem auch für uns selbst zu sorgen. Selbstfürsorge – das war schon immer mehr als Badewanne und ein gutes Buch. Beim Sorgen für uns selbst geht es darum, dass wir unsere Bedürfnisse möglichst gut erfüllen. Wir dürfen gerade in dieser herausfordernden Zeit JA sagen zu unserer Bedürftigkeit. Zu unserer Sehnsucht nach Sicherheit und Halt. Zu unserem Wunsch, Anerkennung und Wertschätzung zu erfahren. Wir dürfen uns eingestehen, dass wir auch jetzt gerade irgendwo dazu gehören wollen – und zwar nicht nur zu unserer kleinen Kernfamilie.
In dieser irren Zeit ist es nicht leicht, sich diese Bedürfnisse zu erfüllen. Doch es gibt Möglichkeiten. Der Austausch über soziale Medien. Nicht nur mit denen, von denen wir spüren, dass sie es brauchen. Auch und gerade mit Menschen, die uns gut tun. Paare sollten miteinander regeln, ob und wie es möglich ist, dass beide von Zuhause aus ein bisschen weiterarbeiten können. Oder etwas neues aufbauen. Vielleicht funktioniert deine Arbeit nicht mehr, aber du wolltest schon immer einen Blog schreiben oder einen Podcast aufnehmen, eine Seite mit Infos über Ernährung bei Rheuma online stellen oder über Katzenschutz. Tu es. Fordere diese Zeit bewusst ein, denn es ist deine Möglichkeit, auch weiterhin selbstwirksam zu sein.
Sicherheiten wanken dieser Tage. Doch es gibt auch Dinge, die weiterhin Halt geben können. Was brauchst du, um dich besser zu fühlen? Vielleicht musst du mal mit deiner Pfarrerin oder deinem Pfarrer telefonieren? Oder brauchst du unaufgeregte Informationen über die Situation? Ist es ein anderes Thema, das dir gerade den Boden unter den Füßen droht wegzuziehen? Wer kann dir dabei helfen? Was kann dir helfen? Ein möglichst strukturierter Alltag? Ein Partner, der für dich stark ist? Das Abstellen sämtlicher Nachrichten? Nimm dir, was du brauchst. Es ist wichtig, dass auch deine Bedürfnisse einigermaßen im Gleichgewicht sind.