Eltern sein, Familie leben

Ein Mädchen wird 40

Gefühlt war es vorgestern, als ich hier meinen Blogbeitrag über das Älter werden verfasst habe. Damals war ich ein Mädchen, Ende 30. Nun, nur noch drei Mal schlafen, dann wird das Mädchen 40.

Gefühlt ist der vierzigste Geburtstag der erste richtig runde. Mag daran liegen, dass ich an meinem 20. gerade frisch aus England gelandet war und unter einem veritablen Rückwanderer-Schock stand. An meinem 30. stand ich ebenfalls unter Schock, ich war nämlich wenige Wochen zuvor zum ersten Mal Mama geworden. Das Einzige, was mich an meinem 40. Geburtstag schockt, ist mein Mut, als introvertierter Mensch eine riesen Party zu schmeißen.

Wie es mir damit ginge, hat mich kürzlich jemand gefragt. Er meinte nicht die Party, sondern mein Alter. Das neue Lebensjahrzehnt, in das ich Ende dieser Woche eintrete. Ich verrate es euch. Es geht mir schweinegut! In mir schreit und jubelt alles diesem neuen Jahrzehnt entgegen, wie keinem anderen zuvor. Vierzig, das ist für mich nicht das neue dreißig, da ich keine Ahnung habe, was das alte Dreißig war. Vielmehr ist diese Zahl für mich ein Lebensgefühl – und zwar ein sehr persönliches. Und mein persönliches Lebensgefühl lässt sich gerade gut in Schreien, Jubeln und Tanzen ausdrücken. Nicht etwa, weil mein Leben so perfekt wäre. Das ist es nämlich nicht. Im Gegenteil.

In den letzten zehn Jahren bin ich verdammt erwachsen geworden. Verdammt ernst. Ich mache mir Gedanken um Dinge, deren Namen ich mit dreißig noch nicht einmal kannte. Ich habe Sachen erlebt, die nicht zum Feiern sind. Ich habe am Bett totkranker Menschen gesessen, ich habe die kalten Körper von nahestehenden Verstorbenen ein letztes Mal berührt. Ich habe Kinder geboren – drei Stück um genau zu sein – und ein Haus gekauft. Ich habe Banktermine wahrgenommen und eine Altersvorsorge angelegt. Ich habe mit Freunden über Trennungen und Krankheiten geweint und Trauernde gedrückt. Ich habe Jobs gefunden und sie wieder an den Nagel gehangen. Ich war Hausfrau und habe eine neues Ausbildung gemacht.

Und doch – oder vielleicht gerade deshalb – jubele, singe und tanze ich heute so viel mehr, als mit 20 oder 30. Denn all diese Dinge haben mich geprägt. Sie haben mich dazu gebracht, eingetretene Pfade zu verlassen. Meine Erfahrungen haben dafür gesorgt, dass ich mich heute nach anderen Dingen ausrichte, als früher. Mein Nordstern ist ein anderer, als der des jungen Mädchens. Und das ist so gut. Ich lebe heute ein Leben, mit dem ich so viel mehr im Reinen bin, als mein jüngeres Selbst es je gekonnt hätte. Ich habe mir viele meiner kleineren und größeren Träume erfüllt. Manchmal muss ich im hektischen Alltag kurz innehalten, um das wieder wahrzunehmen. Dann muss ich mir wirklich klarmachen, was ich einmal gewollt habe – und dass es genau das ist, was ich jetzt habe. Und wenn diese Erkenntnis eingesickert ist, dann tanze und jubele ich. Inmitten meines schnöden, manchmal ärgerlichen, manchmal traurigen Erwachsenenalltags.

Manchmal frage ich mich, wann die Krankheit Erwachsenung endgültig bei mir zugeschlagen hat. War es, als das erste Baby kam oder als wir den Kaufvertrag für das Haus unterschrieben? Als wir das erste Kind zur Schule schickten und zum ersten Elterngespräch mussten? Ich glaube, sie kam irgendwann dazwischen und sie schreitet jeden Tag unaufhaltsam ein Stück fort. Doch das ist gut so. Ich möchte sie nicht mehr loswerden und zwangsweise berufsjugendlich sein. Ich kann mich noch gut an meine Jugendtage erinnern. Da war viel Spannendes, Aufregendes und Leichtes – und ich bin froh, dass sie vorbei sind. Ich mag erwachsen sein. Ich mag es, Mama von drei Kindern zu sein. Ich mag es, unseren Haushalt zu führen, auch wenn Ordnung halten und putzen wahrscheinlich nie mein Ding wird. Ich mag es, Geld zu verdienen und mir Gedanken über Altersvorsorge zu machen. Ich mag es, Gespräche mit Lehrern und Erziehern meiner Kinder zu führen – und zwar auf Augenhöhe und nicht als kleines Kind, das selbst noch unsicher ist. Und ich mag mich. Ich mag die Art, wie ich diese Dinge tue (jedenfalls meistens).

Die 40 steht für mich im Moment für Zufriedenheit. Und sie steht für Zuversicht. Es fühlt sich für mich nach einem Lebensjahrzehnt an, in dem ich alles kann – aber nichts mehr muss. Ich muss mir und anderen nichts mehr beweisen, der innere Drang danach hat zumindest stark nachgelassen. Doch wenn ich wollte, könnte ich und das fühlt sich auch gut an.

Und das Mädchen? Musste das jetzt sterben, damit die Frau geboren werden konnte, wie man in manchen Kulturen sagt? Ich bin mir nicht sicher. Einerseits bin ich kein Mädchen mehr. Ich bin eine erwachsene Frau – und nicht mal mehr eine junge. Eine Mittelalte. Und dann schaue ich in mein Bücherregal. Neben tiefgründiger Literatur steht noch immer Teenie-Fantasy. Ich schaue auf die kreativen Texte, die sich selbst schreie, sie haben sich höchstens stilistisch verändert, seit ich 20 bin. Ich glaube, die Mädchen in uns müssen nicht sterben, damit wir Frauen werden dürfen. Was für eine grausame Vorstellung. Ich glaube, sie können bleiben. Sie dürfen lebendig werden, wenn wir beim Geruch von frischer Luft in Kombi mit Chlorwasser im Freibad Lust auf Pommes und Colaflaschen bekommen. Sie erwachen, wenn irgendwo Kaninchen rumhoppeln oder Esel gestreichelt werden dürfen. Mein Mädchen schlägt Saltos in meiner Brust, wenn es nach längerer Zeit zum ersten Mal wieder am Meer steht und sich in die Wellen stürzen darf. Und es bekommt mich ab und zu mal soweit, dass ich alle Vernunft über Bord schmeiße und ein Stündchen länger aufbleibe, weil die Sommernacht so schön ist und der Wein so gut schmeckt.

Die erwachsene Frau gibt im Alltag den Ton an. Sie organisiert und plant. Sie schafft weg und schuftet. Sie sorgt dafür, dass der Laden läuft. Manchmal hält sie inne und freut sich leise daran, dass alles so ist, wie es ist. Und oft sorgt und plagt sie sich. Sie ist wie Martha, die sich so viel Mühe macht und ohne die nichts laufen würde. Doch das Mädchen ist Maria. Die, die aus dem Herzen entscheidet. Die, die viel zu teures Öl verschwendet, um Jesus ein letztes Mal zu salben. Sie ist die, weint, statt tiefgreifend zu diskutieren. Sie ist die, die dasitzt und zuhört. Sie ist die, die sich tief berühren lässt und dazu fähig ist, tief zu berühren.

Ich mag sie beide – Martha und Maria. Ich glaube, ohne die Marthas der Antike wäre vieles nicht gelaufen. Ohne ihre kluge, zupackende Art hätten die Männer einpacken könne. Die Marias hingegen symbolisieren eine einfache, fast schon naive Art von Liebe. Eine Liebe, die voll im Moment ist. Eine Liebe, die unvernünftig sein kann. Eine Liebe, die so frei und authentisch aus dem Herzen heraussprudelt, dass sie jeden verändert, der sie einmal gesehen hat. Ich möchte gern ein Stück von beidem in mir haben. Die erwachsene Frau und das ewige Mädchen gehören zusammen. Ohne die Frau wäre ich nicht, was ich heute bin und was mich zufrieden macht. Doch ohne das Mädchen würde ich es viel leiser und weniger intensiv feiern. Und deshalb werden beide 40. Die Frau und das Mädchen.

Happy Birthday. Willkommen 40. Ich liebe dich jetzt schon.

(Foto: Inka Englisch)

2 Kommentare zu „Ein Mädchen wird 40“

  1. Liebe Daniela. Toller Text und Respekt und alles Gute für die Frau und das Mädchen. Grüße aus Unterfranken.

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Fotos: Inka Englisch (Link)

Über mich:

Unternehmerin, Erziehungswissenschaftlerin, Familienberaterin, Autorin, dreifache Mama und vor allem für Sie und ihre Familie da.

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