Respekt als Wert in der Kindererziehung

In den letzten Tagen habe ich interessante Diskussionen in sozialen Netzwerken geführt. Ausgelöst wurden sie durch eine Äußerung des Chefs der Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt. Dieser erklärte sinngemäß, Eltern würden ihre Kinder nicht mehr zum Respekt gegenüber Lehrern anhalten, sondern im Gegenteil, diesen notfalls mit Anwälten drohen.

Ich halte diese Aussage nicht nur für reißerisch, sondern für schlicht falsch. Doch ich habe etwas Gegenwind bekommen. Gerade auch privat haben mich einige Nachrichten erreicht, die generell beklagen, dass Kinder und Jugendliche heute wenig Respekt vor Erwachsenen hätten.

Was bedeutet Respekt eigentlich?

Doch was ist eigentlich Respekt? Schaut man verschiedene Definitionen des Wortes Respekt an, wird einem das Dilemma um diesen Begriff schnell klar. So findet man in alten Wörterbüchern zwei Bedeutungen: 1. Die Hochachtung vor Personen aufgrund ihrer Stellung oder ihres sozialen Status. 2. Angst.
In neueren Beiträgen wird Respekt als eine Form von Hochachtung, Wertschätzung und Aufmerksamkeit gegenüber anderen Lebewesen beschrieben. Und ich glaube, dass wir, wenn wir über Respekt sprechen, erst einmal klarstellen müssen, welche dieser Definitionen unser Gesprächspartner im Kopf hat.

Wenn Erwachsene heute in reißerischen Diskussionen von Respekt reden, den sie vermissen, meinen sie sehr oft die ältere Definition. Sie wünschen sich dann, dass junge Menschen ihren Lehrern, Eltern oder überhaupt älteren Personen Respekt aufgrund von deren Stellung entgegenbringen. Es ist auch kein Zufall, dass die zweite Bedeutung in alten Wörterbüchern Angst ist. Denn eigentlich handelt es sich genau darum. Wenn früher davon die Rede war, dass Kinder vor ihren Lehrern oder Eltern Respekt hatten, hatten diese in Wirklichkeit Angst. Diese Definition von Respekt stammt aus einer Zeit, in der körperliche Gewalt gegen Kinder nicht nur erlaubt war, sondern zum guten Ton in der Erziehung gehörte.

Respekt aus Angst oder aus Liebe?

Erziehung durch Angst, das funktioniert heute teilweise immer noch. Immer da, wo Kinder schmerzhafte Strafen zu erwarten haben, wenn sie sich nicht gehorsam gegen Erwachsene verhalten. Ein Kind, das fürchten muss, einen lieb gewonnen Gegenstand für ein paar Tage abgenommen zu bekommen oder das regelmäßig Liebesentzug erhält, wird vielleicht eher die Wünsche von Erwachsenen erfüllen. Jedoch nicht aus Achtung, sondern aus Angst. Mit Respekt im moderneren Sinne hat das jedoch wenig zutun. Genauer gesagt ist es sogar das Gegenteil davon.

Genau deshalb verabschieden sich heute immer mehr Eltern von dieser Art des Umgangs mit Kindern. Wir diskutieren breit über die negativen Folgen von Strafen und ganz zart und allmählich verändern sich Denkweisen. Wir erleben gerade einen großen Wandel in der Weise, wie Heranwachsende ins Leben begleitet werden. Wir stehen am Anfang von etwas Neuem. Und wie immer, wenn Menschen irgendwo hin aufbrechen, macht das Angst. Eine große Angst von Erwachsenen heute ist, dass Kinder außer Kontrolle geraten. Sie haben Angst davor, dass ihre Kinder auf Abwege geraten, weil sie Respekt im herkömmlichen Sinn nicht mehr kennen. Genau deshalb ist es wichtig, dass wir uns mit der neueren Definition von Respekt einmal genauer auseinandersetzen.

Respekt als Frage von Beziehung

Respekt im Sinne von Achtung, Wertschätzung und Aufmerksamkeit erhält man nicht, indem man seine Überlegenheit ausspielt und kleinen Menschen Schaden zufügt. Diese Art von Respekt bekommt man zurück, wenn man mit seinen Mitmenschen respektvoll umgeht. Indem man Kindern Achtung und Wertschätzung vorlebt, erhält man sie selbst. Natürlich immer in dem Rahmen, in dem Kinder schon in der Lage sind, sich aus unserer erwachsenen Sicht respektvoll zu verhalten. Ein Dreijähriger, der mit einer Sandschaufel um sich haut, ist weder respektlos, noch wurde er von seinen Eltern bisher schlecht behandelt. Er verhält sich schlicht altersgerecht und braucht liebevolle Begleitung. Grundschulkinder, die in einer Überforderungssituation ausflippen, weil sie nicht gesehen werden, sind ebenfalls nicht respektlos. Sie sind in einer emotionalen Notlage und brauchen Begleitung und Co-Regulation.

Zu Respekt im moderneren Sinne überhaupt fähig zu sein, bedeutet, sich gut in seinen Gegenüber einfühlen zu können. Es bedeutet, eine gewisse Wahrnehmung für das zu haben, was jemand anders gerade meint und braucht. Kinder lernen das im Laufe ihrer Entwicklung mehr und mehr – und zwar indem wir sie einfühlsam begleiten.  Sie bekommen ein Gespür für andere, wenn sie ein Gespür für sich selbst bekommen haben. Wenn sie sich in dem, was sie sind und in dem, wie sie sind, angenommen fühlen, können sie das auch an andere weitergeben. Herabwürdigungen, Demütigungen, schmerzhafte Strafen und Liebesentzug führen indes zum Gegenteil. Sie sorgen dafür, dass Kinder einen Teil ihrer Gefühlswelt als falsch betrachten. Sie sorgen dafür, dass sie bestimmte Bedürfnisse nicht mehr äußern und auch nicht mehr versuchen, sich diese zu erfüllen. Sie führen dazu, dass Kinder in einen Machtkampf mit erwachsenen Autoritätspersonen geraten.

Dass, was wir heute als respektloses Verhalten von Kindern und Jugendlichen empfinden, ist oft nicht auf einen “zu laschen” Umgang der Eltern mit ihnen zurückzuführen. Es ist viel mehr ein Resultat von Respektlosigkeiten, die sie selbst erfahren haben. Ihre mangelnde Wertschätzung für Dinge, die wir für wichtig erachten, ist oft nur ein Spiegel unserer mangelnden Wertschätzung für sie.

Respekt vorleben

Wenn wir uns also heute wünschen, dass junge Menschen Respekt vor anderen (älteren) Menschen haben, dürfen wir uns fragen, wo diese Menschen sich selbst respektiert fühlen dürfen. Wo wurden sie bisher ernst genommen? Durften sie bisher spüren, dass sie wertvoll für uns sind? Wissen sie, dass sie bei uns genau so sein dürfen, wie sie sind? Wo finden sie jemanden, der erstmal nur zuhört und nicht urteilt? Wo ist ihre Meinung gefragt? Wo wurden ihre unsichtbaren Wunden versorgt als sie klein waren? Wenn wir wirklich von diesem Angst besetzten Respektsbegriff wegkommen wollen, müssen wir bei uns selbst anfangen.

Ja, ich finde auch, dass wir kleinen Menschen Respekt vermitteln müssen. Es ist ein wichtiger Wert für unser Zusammenleben. Ein respektvoller Umgang mit Lebewesen ist etwas Gutes. Etwas, das gerade in den komplexen Problemlagen, denen wir derzeit gegenüberstehen, ein Grundwert ist, der uns durch vieles tragen kann. Also – fangen wir an damit. Begleiten wir sie von Anfang an respektvoll ins Leben.

1 Kommentar zu „Respekt als Wert in der Kindererziehung“

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