Ich berate Eltern und Pädagogen in schwierigen Situationen und es begegnet mir oft, dass Erwachsene bereits zu Wissen glauben, was hinter dem Verhalten von Kindern steckt. Von mir möchten sie dann nur noch eine Lösung dafür, wie sie es verändern können. Die häufigsten Grundannahmen, die mir begegnen sind: Dass Kinder die Erwachsenen testen wollten, dass sie sie provozieren oder dass sie sie manipulieren wollten. Wie wäre unser Umgang mit Kindern wohl, wenn wir diese negativen Gedanken über sie einmal zur Seite schieben und eine neue Grundannahme in den Mittelpunkt unseres Denkens stellen würden? Nämlich die: Kinder sind Teamworker!
Das Kinder Teamworker sind, ist gut belegt
Eigentlich ist das gar nichts Neues, was ich da erzähle, denn zu diesem Ergebnis sind Fachleute schon vor fast zwei Jahrzehnten gekommen und seit mindestens einem Jahrzehnt machen sich Menschen wie der Familientherapeut Jesper Juul und die Pädagogin und Beraterin Katia Saalfrank dafür stark, dass sich dieser Gedanke in den Köpfen von Erwachsenen verankert. Nur halten sich eben andere, negative Ansichten über Kinder so hartnäckig, dass es immer wieder schwierig ist, eine andere Haltung dagegen zu setzen.
Wir Menschen sind soziale Wesen – das gilt auch für unsere Kinder
Doch wo kommt diese Annahme eigentlich her, dass Kinder im Grunde dazu gemacht sind, mit uns zusammen zu arbeiten? Sie kommt aus der kindlichen Entwicklung selbst und aus der Geschichte der Menschheit. Kleine Menschen sind in einer Weise auf ihre großen Bindungspersonen angewiesen, wie es sie nur selten sonst auf unserem Planeten gibt. Wenn sie zur Welt kommen, können sie überhaupt nichts. Ihr Überleben hängt davon ab, dass sich jemand an sie bindet und bereit ist, sie zu versorgen. Jemand muss da sein und ihre Signale erkennen und die Möglichkeit haben, auf diese angemessen zu reagieren. Und während andere Wesen im Tierreich sehr schnell auf eigenen Beinen stehen können und nach kurzer Anleitung durch die Muttertiere oft auch recht bald in der Lage sind, sich mit Futter zu versorgen, braucht unser Nachwuchs uns sehr, sehr lange. Da liegt die Annahme nah, dass kleine Menschen nicht freiwillig etwas tun, um uns zu verärgern oder uns von sich weg zu treiben.
Wir Menschen sind außerdem sehr soziale Wesen. Auch Erwachsene lebten menschheitsgeschichtlich gesehen die meiste Zeit in großen, sozialen Verbünden, in denen jeder seinen Platz und seine Aufgabe hatte. Von der Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden, hätte zu fast allen Zeiten in fast allen Völkern dieser Welt auf kurz oder lang den sicheren Tod bedeutet. Damit also der Mensch eine Erfolgsgeschichte werden konnte, musste der Wille zur Kooperation mit anderen in seinem Betriebssystem angelegt sein.
Auch verschiedenste psychologische Untersuchungen, die kleine Kinder in verschiedenen Interaktionen zeigen, machen deutlich, dass sie mit anderen kooperieren wollen. Natürlich immer auf eine Art und Weise, die ihrem Alter und ihrem Entwicklungsstand entspricht.
Das Bild vom Kind als Haustyrann
Es ist also gut belegt, dass Kinder eigentlich Teamworker sind. Doch wie kommt es dann, dass wir als Erwachsene schnell geneigt sind, das Gegenteil anzunehmen? Das hat zwei Gründe. Zum einen steht uns unsere eher neuere eigene Erziehungsgeschichte im Wege. Denn lange Zeit brauchte man in Europa keine Teamworker, sondern Untertanen. Die angeborenen sozialen Fähigkeiten von Menschen sind aber eher im Weg, wenn man gehorsame Soldaten haben möchte. Deshalb legten Erziehungsratgeber im Kaiserreich und in der Nazizeit Eltern nah, die Bedürfnisse, die ein Kind von Beginn seines Lebens an kommuniziert, besser zu ignorieren. Ein Baby, das weint, sendete in dieser Vorstellung von Kindern keine wertvollen Signale, sondern versuchte, seine Mutter zu manipulieren. Ein Kleinkind mit einem Wutanfall war in dieser Vorstellung kein verzweifeltes kleines Wesen, was mit der Begrenzung seiner Welt konfrontiert wurd, sondern ein Haustyrann, dem man schnell Einhalt gebieten musste. Und entstand über Jahrhunderte und über Generationen ein neues Bild vom Kind, das bis heute immer wieder in unseren Köpfen auftaucht.
Kinder kooperieren viele Stunden am Tag
Der zweite Grund, warum wir auf die These des manipulativen Kindes oft reinfallen liegt in unserem eigenen Alltag. Wir kommen als Eltern immer wieder in Situationen, in denen wir schlicht nicht glauben können, dass unser Kind ein Teamworker sein soll – ein Wesen, das mit uns kooperieren will. Unter Kooperation verstehen die meisten von uns nämlich kein Kind, das schreiend im Eingang eines Supermarktes liegt und auch keins, das vor Wut sein Pizzastück an die Wand wirft, weil der falsche Belag darauf ist. Auch ältere Kinder machen es uns oft nicht einfach, an ihren Kooperationswillen zu glauben, wenn sie ständig versuchen, ihre Medienzeit heimlich zu verlängern, ihre Hausaufgaben nicht erledigen oder zu spät nach Hause kommen. Wie sollen wir da denn bitte von ausgehen, das Kinder Teamworker sind?
Hier lohnt es sich einmal hinter das Verhalten unserer Kinder zu schauen, denn dafür, dass sie scheinbar nicht kooperieren, gibt es Gründe. Gerade bei kleinen Kindern kommt es oft vor, dass sie je weniger kooperativ sind, desto länger der Tag fortgeschritten ist. Das liegt daran, dass unsere kleinen Kinder sehr viel kooperieren müssen, um durch einen Tag zu kommen. Meistens fällt uns das nur gar nicht auf. Für uns ist es oft keine große Sache, dass unsere Kinder morgens aufstehen, sich anziehen, frühstücken und in eine pädagogische Einrichtung gehen – und zwar genau in dem zeitlichen Rahmen, den wir dafür festgelegt haben. Sie gehen ja auch gern – höre ich dann oft von Eltern. Das glaube ich sofort. Doch trotzdem ist ein durchgetakteter Tag für sie genauso anstregend, wie für uns. Und nur weil sie im Grunde gern in den Kindergarten gehen, heißt das nicht, dass sie nicht manchmal auch viel lieber andere Dinge tun würden. Auch im Kindergarten passen sich die Kinder in vielen, vielen kleinen Situationen immer wieder an, stellen ihre eigenen Wünsche zurück und kooperieren. Auch da fällt es nur keinem auf, weil es so selbstverständlich genommen wir. Doch mit der Kooperationsbereitschaft unserer Kinder ist es, wie mit einem Autotank. Irgendwann ist er leer. Das Kind kann irgendwann nicht mehr mit uns kooperieren und es kommt zu Konflikten.
Das Gemeine daran ist, dass wir oft einen viel schärferen Blick darauf haben, was nicht gut läuft, als auf das, was klappt. Wenn das Kind am späten Nachmittag nicht mehr bereit ist, sein Spielzeug zu teilen oder auf uns zu hören, nehmen wir das wahr und ziehen unsere Schlüsse daraus – unter anderen, dass dieses Kind ja gar kein Teamworker sein kann. Dabei übersehen wir nur leider, was dieses Kind bereits alles geleistet hat. Auch neigen wir dazu, Dinge, die unsere Kinder nicht nach unserem Willen tun, stark auf uns zu beziehen. Meistens wollen sie uns jedoch gar nicht ärgern, wenn sie sich anders verhalten, als wir es vorgegeben haben. Oft tun sie einfach in diesem Moment etwas FÜR sich und nicht GEGEN uns. Es ist daher immer wieder wichtig hinter das Verhalten des Kindes zu schauen und uns zu fragen, welchen Sinn es aus Sicht des Kindes in diesem Moment hat.
Kinder müssen spüren, dass sie ein wertvoller Teil des Teams sind
Doch es gibt noch mehr Gründe, warum Kinder aus der Kooperation mit uns Erwachsenen aussteigen. Immer dann, wenn sie selbst nicht mehr das Gefühl haben, ein wertgeschätztes, anerkanntes Teil unserer Gemeinschaft zu sein. Viele Probleme zwischen Eltern und Kindern haben damit zutun, dass unsere Kinder oft nicht merken, wie wertvoll sie für uns sind. Sie fühlen sich nicht gesehen, mit ihren Themen bei uns nicht angenommen und in ihrer Meinung nicht gewürdigt. Auf ihr negatives Verhalten reagieren wir dann leider oft so, dass wir ihren Eindruck noch verschärfen. Eine ungesunde Spirale entsteht und wieder würden wir nicht glauben, dass unsere Kinder eigentlich mit uns ein Team sein wollen.
Ich empfinde es daher als ungeheuer entlastend für die Eltern- Kind Beziehung, dass wir uns immer wieder vor Augen halten können, dass unsere Kinder Teamworker sind. Sie wollen mit uns kooperieren – und sie können es nicht an allen Stellen. Wenn wir diese Einstellung in allen Konfliktsituationen parat haben, geraten wir nicht in sinnlose Machtkämpfe mit ihnen, sondern können hinter ihr Verhalten schauen und nach konstruktiv nach Lösungen suchen.
Liebe Daniela, danke für diesen durchdachten und so wahren Artikel. “Eigentlich” weiss ich das – nur muss ich immer und immer wieder daran erinnert werden. Und ich glaube auch, dass diese Wahrheit noch lange nicht durchgedrungen ist. Herzliche Grüsse!
Danke, liebe Sonja. Ja das stimmt. Ich muss mich selbst auch immer wieder daran erinnern. Liebe Grüße