Es gibt in christlichen Kreisen mittlerweile viele Angebote, die Paare auf dem Weg ins Eheleben unterstützen und auch solche, die Paare nutzen können, die bereits verheiratet sind. Ich finde das gut, denn eine lebenslange Ehe ist kein Zufallsprodukt, sondern das Ergebnis von viel Arbeit und auch davon, immer wieder neue Impulse und Gedanken für ein funktionierendes Eheleben zuzulassen. Ehekrisen sind kein Zeichen von Schwäche oder einem gottlosen Leben und sie passieren nicht nur denen, die “etwas falsch” machen, vielmehr sind sie Teile eines langen Weges, den zwei Menschen miteinander gehen wollen und der nun einmal nicht immer nur leicht und gerade sein kann. Toll, dass wir Christen diese geile Institution Ehe stärken wollen und Paaren Hilfe an die Hand geben. Ein Impuls, den viele (werdende) Ehepaare oft aus solchen Kursen mitnehmen, ist die Reihenfolge, in der man in einer guten Ehe miteinander leben sollte. So kommt natürlich auch in einer guten Beziehung zuerst Gott. Finde ich gut, denn eine Liebesbeziehung sollte uns nie dazu bringen, nicht mehr zu glauben oder uns weniger Zeit dafür zu nehmen. Als zweites kommt dann oft ein herausforderndes Gebot – nämlich das, den Partner immer vor das Kind zu stellen. Erst der Partner, dann das Kind – viele Christen interpretieren eine Stelle im Titus-Brief entsprechend. In Titus 2, 3-5 werden Pflichten von Männern und Frauen aufgezählt – und unter anderem soll die Frau ihrem Mann und ihren Kindern Liebe und Fürsorge zukommen lassen. Aus der gewählten Reihenfolge im Brief “….liebevoll zu sein gegen Mann und Kinder” folgt nun die Ableitung, dass in einer christlichen Ehe der Mann erste Priorität seiner Partnerin sein soll und dann erst das Kind. Ich sehe den Sinn dieser Empfehlung – und gleichzeitig macht sie mir Bauchweh.
Unsere Kinder begleiten wir nur über einen bestimmten Zeitraum ins Leben. Irgendwann sind sie dann bereit, auf eigenen Füßen zu stehen, sie breiten ihre Flügel aus und verlassen das Nest, dass wir ihnen auf dem gut verwurzelten Baum unseres Lebens bereitet haben. Natürlich hauen sie normalerweise nicht für alle Zeiten auf Nimmerwiedersehen ab, sondern bleiben mit uns verbunden. Doch sie gehen in ihr eigenes Leben und so soll es auch sein. Unsere Partner hingegen, so sieht es die christliche Ehe vor, bleibt bis das der Tod uns scheidet. Der Gedanke, dass wir uns mit dem Menschen, der an unserer Seite bleibt, dann auch noch gut verstehen, macht absolut Sinn. Überhaupt bin ich ein Fan von gestärkten Partnerschaften. Ich finde es absolut wichtig, sich als Paar Zeit füreinander zu nehmen und sich regelmäßig abseits des Familienalltages neu zu begegnen. Sich als Paar ernst nehmen, auch wenn Kinder da sind, das ist ein Rat, den ich wirklich und gern allen jungen Eltern mit auf den Weg geben möchte.
Und doch habe ich eben dieses kleine, fiese Zwicken tief in meinem Bauch, wenn ich Eheberatern oder Seelsorgern zuhöre, wenn sie diesen Satz sagen. Mein Problem damit ist nicht die Idee als solche, denn die mag ich, sondern die Konsequenzen, die daraus entstehen können. Wir haben in Deutschland eine lange Geschichte, wenn es darum geht, Bindungen zwischen Eltern und Kindern zu schwächen. Je düsterer die Zeiten waren, desto schärfer wurde darauf geachtet, dass Mütter sich nicht zu sehr ihren Kindern widmen. Sicher gebundene Kinder lagen noch nie im Interesse von autoritären Machthabern, denn all die Vorteile, die sichere Bindungen für die Entwicklung von Kindern versprechen, könnten für diese zum Nachteil gereichen. Bis heute haben wir häufig nicht das Problem, dass “zuviel” für sichere Bindungen getan wird, sondern an vielen Stellen immer noch zu wenig. Noch immer ist viel tradiertes Halbwissen im Raum, wenn es um die Art geht, wie wir mit kleinen Kindern umgehen. Noch immer spukt der Geist des “Verwöhnens” in unseren Häusern herum und noch immer halten sich Vorbehalte gegen Trösten, Tragen, gemeinsames Schlafen und andere Dinge, die für unsere Kinder gut sind, hartnäckig. Das Gebot, den Partner vor das Kind zu setzen, könnte diesen Stimmen neues Fahrwasser verleihen.
Denn sich ein solches Ziel zu setzen, ist auf lange Sicht klug. Kurzfristig jedoch kann es Mütter auch in problematische Situationen bringen. Besonders in den ersten Monaten mit einem kleinen Baby ist es sehr schwer, den Partner an die erste Stelle zu setzen. Kaum eine Mutter, die sich in der Schleife von Dauerstillen, Trösten und durchwachten Nächten befindet, ist gleichzeitig in der Lage, eine gute Partnerin zu sein. Zumindest nicht, wenn man “gute Partnerin” so definiert, dass diese Mutter gleichzeitig liebevoll, zuhörend und vielleicht sogar sexuell anziehend für ihren Mann sein soll. Setzt sich eine frisch gebackene Mutter dies jedoch zum obersten Ziel, geht das nur, wenn sie gleichzeitig die Bedürfnisse ihres Babys nicht beantwortet. Das ist meiner Meinung nach ein Dilemma, was mit diesem Gebot einher geht.
Der Ausweg daraus ist aus meiner Sicht, kritisch zu hinterfragen, was “der Partner zuerst” in den verschiedenen Lebenslagen bedeutet. In der herausfordernden Zeit mit sehr kleinen Kindern kann es nämlich auch bedeuteten, viel Energie in das gemeinsame Kind zu stecken. Einfach, weil es getan werden muss und weil es im Interesse beider Eltern ist, dass es diesem kleinen, neuen Lebewesen gut geht. Wertzuschätzen, dass auch das ein Dienst an der gemeinsamen Partnerschaft ist, finde ich sehr wichtig. Der nächste Gedanke, den ich euch dazu mitgeben möchte ist, dass “Partner zuerst” keine Einbahnstraße ist, die nur von der Frau ausgeht, auch wenn das in vielen christlichen Kreisen bis heute so gesehen wird. Auch der Mann hat Pflichten in einer Partnerschaft – und sich in dieser Zeit zugunsten des neuen Menschens etwas zurückzunehmen, ist eine davon. Statt sich also auf irgendeinen Platz Nummer eins bei seiner Frau zu berufen, dürfen sich frisch gebackene Väter in solchen Zeiten einmal fragen, womit sie ihre Partnerin unterstützen können und wie sie ihr gerade am besten gerecht werden.
Eine erwachsene, verantwortungsvolle Rolle innerhalb seiner Ehe und seiner Familie einzunehmen, bedeutet nämlich auf jeden Fall auch, in der Lage zu sein, seine eigenen Bedürfnisse ein wenig aufzuschieben. Oft heißt es, dass dies besonders gut in Partnerschaften klappt, die sich Aufgaben der Kindererziehung und der Erwerbsarbeit gerecht teilen. Doch ich glaube, gerade in christlichen Ehen sollte dies kein Maßstab für gutes Gelingen sein. Vielmehr kommt es auf eine innere Haltung an. Wenn aus einem Paar eine Familie wird, tragen beide Elternteile eine große Verantwortung für das neue Leben – und alles was ab dann getan werden muss, sei es im Rahmen von Fürsorgearbeit oder Erwerbsarbeit, ist wertvoll. Man kann Familienleben auch dann als gemeinsames Projekt ansehen, wenn man an verschiedenen Aufgaben arbeitet. Der Teamgedanke zählt. Solange wir uns als Team begreifen und es als unsere gemeinsame Aufgabe ansehen, dass unser Familiengefüge funktioniert, bedeutet Bedürfnisaufschub nicht mehr, dass wir den Partner zurückstellen.
Wichtig ist jedoch, dass beide Seiten die Partnerschaft weiterhin im Blick haben. Es empfiehlt sich durchaus, einander gerade in diesen herausfordernden Zeiten nicht zu vergessen. Es ist gut, kleine Lücken im Alltag zu nutzen – und sei es nur für ein paar Minuten nebeneinander auf der Couch sitzen und reden. Wie ihr wisst, finde ich sowieso, dass jede Familie ihr Dorf braucht – und auch das kommt natürlich wieder zum Tragen, wenn es darum geht, die Partnerschaft weiterhin wichtig zu nehmen. Denn ich bin fest davon überzeugt, dass wir einander sehr viel Gutes tun, wenn wir uns die Möglichkeit schaffen, ab und zu Zeit zu zweit zu verbringen. Deshalb finde ich es wichtig, dass Eheberater oder Leiter von Paarkursen ihren Klienten vor allem Mut machen, weitere Menschen in ihr Familienleben mit einzubeziehen und so sicherzustellen, dass sich immer wieder Gelegenheiten ergeben, den Partner an erste Stelle zu stellen.
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