Vom Schein und Sein

Soziale Netzwerke machen krank und unglücklich. Immerhin weiß ich jetzt, dass ich anscheinend nicht die Einzige bin, die sich manchmal beschissen fühlt, wenn sie zu viel Zeit dort verbracht hat. Es tut wohl noch mehr Menschen nicht sonderlich gut, ständig Bilder einer aufgemotzten Scheinwelt zu sehen. Doch warum ist das so?

Ich glaube das Problem sind die Vergleiche, die die Bilder und Texte, die wir dort lesen können, zwangsweise mitliefern. Mir geht das oft so, wenn ich Fotos von perfekt aufgeräumten Wohnzimmern sehe, in denen sämtliche Kissen gerade stehen und offensichtlich noch nie jemand einen Saft auf den Teppich gekippt hat. Und mir geht es auch so, wenn ich zu viel Zeit damit verbringe, in Accounts einzutauchen, die augenscheinlich bereits ein durch und durch bindungsorientiertes, nachhaltiges und gleichsam stilvolles Leben führen. Ja und auch wenn ich täglich frisch gekochte mehrgängige Menüs präsentiert bekomme, während ich selbst gerade verschämt eine Packung Fischstäbchen aufs Blech schütte, weil die Zeit mal wieder nicht zu mehr gereicht hat.

Doch dann frage ich mich manchmal, was eigentlich mit uns Frauen los ist. Schalten wir wirklich unsere Gehirnbereiche, die für logisches Denken und Reflexion zuständig sind aus, wenn wir bestimmte Apps öffnen? Weil wenn wir das nicht tun, dann frage ich mich, warum uns nicht einige Dinge glasklar sind: Auch bei den besten Foodbloggern kommt mal eine Fertigpizza in den Ofen, wenn die Zeit knapp ist. Auch die Frau, die die schönsten Texte übers Eltern sein schreibt, schreit ihre Kinder ab und zu an, wenn der Tag lang war oder der Zyklus den kritischen Punkt erreicht hat. Auch bei der Frau mit den schönen bunten Sofakissen liegt mal alles kreuz und quer und der krümelige Boden ist nicht gesaugt. In all den Häusern, von denen wir nur die Schokoladenseite sehen, tobt das wahre Leben – genauso sehr wie bei uns Zuhause.

Wenn wir das nicht glauben, dann können wir ja mal unser eigenes Medienverhalten überprüfen. Ich stelle ja auch keine Fotos von meinen Fischstäbchen ein. Stattdessen poste ich dann lieber die Kürbissuppe, die ich aus dem Bio-Kürbis gekocht habe, den mein Sohn eigenhändig geerntet hat. Wenn ich Fotos aus meinem Wohnzimmer zeige, dann ordne ich die Sofakissen vorher und ich habe schon mehr als einmal den überquellenden Biomüllbeutel aus dem Bild geschoben, damit er nicht auf dem Foto von meinem selbstgekochten Apfelmus landet. Ich tue das – und ich werde das auch in Zukunft tun. Denn ich möchte euch einfach schöne Fotos zeigen. Denn das paradoxe ist ja, obwohl uns diese Bilder unzufrieden machen, wollen wir eigentlich genau das sehen. Niemand erfreut sich an einen filterlosen Foto einer mittelmäßig ausgestatteten Chaosküche. Wenn wir das sehen wollen würden, dann könnten wir in unsere eigenen gehen.

Wir Konsumentinnen, wir wollen ja diese Scheinwelt. Wir haben eine große Sehnsucht nach dem Sauberen, dem Perfekten, dem Schönen. Grundsätzlich ist da auch nichts Verwerfliches dran. Bloggerinnen, die wunderschön über ihr Familienleben schreiben, inspirieren uns, auch das eine oder andere zu überdenken. Bloggerinnen mit schönen Wohnzimmern erinnern mich daran, dass auch ich lieber in einem aufgeräumten Raum sitze und bringen mich dazu, mir vorzustellen, was ich mir für Möbel kaufen könnte, wenn die Kinder einmal älter sind. Bloggerinnen, die viel selbst machen, wecken in mir die Lust, auch mal wieder über mich hinaus zu wachsen und ein neues DIY Projekt zu starten. Bis dahin ist das alles in Ordnung und erfüllt genau den Zweck, den diejenigen, die ihre Bilder zeigen, im Sinn hatten. Zum Problem wird es jedoch, wenn es darüber hinaus geht. Wenn die Bilder anderer Menschen auf einmal nicht mehr nur Inspiration sind, sondern Gradmesser.

Wenn wir bearbeitete und extra zur Bebilderung bestimmter Texte angefertigte Fotos als Ideal für unsere Lebensrealität nehmen, können nur verlieren. Wenn wir Artikel über gelungenes Familienleben wortwörtlich nehmen und als täglichen Maßstab im Hinterkopf haben, dann ebenfalls. Wir Frauen müssen wirklich auf uns aufpassen, damit das, was eigentlich zum Segen für uns werden könnte, nicht zur Fahrkarte in unser Unglück wird. Es ist prima, dass wir heute quasi kostenlos unendlichen Zugang zu allen möglichen Tipps, Tricks und Ideen für unseren Alltag haben. Früher brauchte man für sowas noch ein Zeitschriftenabo. Darüber hinaus eröffnet die Digitalisierung uns neue Arbeitsbereiche, die gerade uns, die wir oft vor der Frage stehen, wie wir Familie und Beruf vereinbaren wollen, völlig neue Möglichkeiten schafft. Doch gleichzeitig kann all das uns krank machen. Es kann uns schaden, wenn wir zusätzlich zu all dem, was sowieso schon von uns verlangt wird, noch falsche Maßstäbe an uns anlegen.

Doch wie können wir uns schützen? Ich glaube, in dem wir Wert auf die richtige Dosis legen. Ein bisschen Stöbern in tollen Profilen ist in Ordnung, doch nicht zu lange. Die reale Welt da draußen hat so viel mehr zu bieten. Was ist das tollste Küchenfoto gegen Bäume, die gerade ihre bunten Blätter abwerfen oder gegen das schokoverschmierte Rotzgesicht unseres Kindes? In dem wir die richtigen Accounts zum Folgen auswählen – die, die uns unterm Strich mehr Inspiration, als Bauchweh mitgeben. Und, in dem wir manchmal als gutes Beispiel voran gehen und dieser bunten, glamourösen Scheinwelt etwas Ehrlichkeit entgegensetzen.

Während ich das Schreibe, sieht mein Wohnzimmer übrigens so aus:

1 Kommentar zu „Vom Schein und Sein“

  1. Vielen Dank für diesen ehrlichen Artikel! Ich würde dir ja jetzt hier ein Foto meines Wohnzimmers und der Küche mit dem dreckigen Geschirr von gestern schicken, aber das geht ja leider nicht. Natürlich wird es heute Nachmittag hier nicht mehr so aussehen, wenn meine Freundin mit den Kindern zum Kaffee kommt. Denn sie soll sich willkommen und wohl fühlen bei uns.
    Aber manchmal ist es so wichtig, dass man ab und an auch mal einen Blick in das Chaos Anderer werfen kann.
    Ich motiviere alle dazu einfach bei mir rein zu kommen, wenn sie in der Nähe sind. Nicht vorher anzurufen, sondern einfach mal zu klingeln, in mein Chaos zu kommen und mit mir einen Kaffee zu trinken. Und immer öfter kommen die Frauen aus meinem
    Bekanntenkreis einfach so vorbei und stehen in meiner Küchentür, wenn sie die geplanten Erledigungen für den Tag schon erledigt haben oder ein Kind mal auf die Toilette muss. Dann kommen sie lieber in mein dreckiges Bad, als die Supermarkttoilette aufzusuchen, trinken lieber einen Kaffee an meinem
    Küchentisch, als in ein schickes Café zu gehen.
    Meistens entstehen bei solchen spontanen Begegnungen, die mich von meinem Haushalt ablenken, die nettesten Gespräche über die wahren Sorgen und Probleme. Und die Frauen, die schon mal in meiner dreckigen Küche saßen, kommen immer wieder gerne. Vielleicht, weil sie sich immer willkommen fühlen, vielleicht aber auch, weil es bei dem Chaos eh egal ist, wenn ihr Kleinkind Unordnung macht.
    Und ganz bestimmt, weil sie danach das Gefühl haben, dass es allen mal so geht (oder es bei Ihnen ja nie so schlimm aussieht wie bei mir 🙂 )

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Fotos: Inka Englisch (Link)

Über mich:

Unternehmerin, Erziehungswissenschaftlerin, Familienberaterin, Autorin, dreifache Mama und vor allem für Sie und ihre Familie da.

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