Uns bindungsorientierten Bloggerinnen weht gerade wieder ein rauer Wind um die Ohren. Auf der einen Seite scheinen viele Aspekte der bindungsorientierten Elternschaft mittlerweile im Mainstream anzukommen. Es ist relativ normal geworden, Kinder zu tragen, auch öffentlich zu stillen und zwar nach Bedarf und auch Schreien lassen scheint für immer weniger Eltern eine normale Methode im Umgang mit Babys zu sein. Was für ein Erfolg und das in relativ kurzer Zeit. Als ich 2009 in meinen Alltag als Mutter startete, war ich mit all diesen Dingen noch eher eine Exotin. Wir verdanken diese Entwicklung vielen Männern und Frauen, die unermüdlich gegen tradierte Methoden der Kindererziehung angeschrieben haben und noch mehr mutigen Müttern und Vätern, die einfach schon lange ihr Ding gemacht haben.
Trotzdem sind bindugsorientiert lebende Familien auch immer wieder Anlass zur Kritik. In letzter Zeit sind mir mehrere Blogbeiträge ins Auge gesprungen, in denen die Autorinnen sich klar von bindungsorientierter Elternschaft distanziert haben und auch in Zeitungen und Zeitschriften kann man immer wieder Kritik lesen. Die Kritikpunkte sind immer gleich und schnell zusammengefasst: Bindungsorientierte Elternschaft überfordert die Mütter und führt sie in den Burn Out. Und – bindungsorientierte Elternschaft bringt lebensuntaugliche Kinder hervor.
Meines Erachtens beruhen beide Thesen auf gängigen Missverständnissen, die mit der bindungsorientierten Elternschaft einher gehen. Diese Missverständnisse sind entstanden, weil Menschen weit mehr in diese Haltung zum Familienleben hinein interpretieren, als eigentlich hinein gehört. Oft lese ich, dass es bei bindungsorientierter Elternschaft ja um so viel mehr geht, als nur um eine gute Bindung zu seinen Kindern. Je nachdem, wo man ist, wird dann noch viel hinein gepackt: der komplette Verzicht auf Erziehung, ein nachhaltiger Lebensstil, der Kauf bestimmter Produkte, kitafreies oder gar schulfreies Leben, der Verzicht aufs Impfen, Naturheilkunde, vegane Ernährung, plastikfrei und vieles mehr.
Um all das geht es bei bindungsorientierter Elternschaft aber ganz klar nicht. Bei bindungsorientierter Elternschaft geht es nämlich im Kern erstmal nur um eins – die ersten Lebensjahre zusammen so zu gestalten, dass sichere Bindungen und ein Grundgefühl der Geborgenheit entstehen können. Dies tun wir bindungsorientiert lebenden Eltern, indem wir die Bedürfnisse unserer Kinder im Blick haben – und so gut es geht erfüllen. Wir glauben nicht daran, dass es unseren Kindern irgendeinen Vorteil im Leben bringt, wenn sie als Babys lernen müssen, Bedürfnisse aufzuschieben. Und dann kommt noch etwas dazu, was wir tun – oder besser gesagt unbedingt tun sollten: Wir behalten unsere Bedürfnisse im Blick und versuchen sie ebenfalls so gut es geht zu erfüllen. Denn auch wir selbst sollten uns wohl und geborgen fühlen. So einfach ist das.
Doch wenn man die Artikel der letzten Monate liest, bekommt man das Gefühl, es sei um so vieles komplizierter. An diesem Eindruck haben einige Protagonisten der bindungsorientierten Elternschaft vielleicht ein bisschen mitgearbeitet. Denn sind wir ehrlich, in manchen Kreisen ist aus einer gesunden Haltung ein Dogma geworden. Da ist Bindungsorientierung nämlich eben nicht nur eine Haltung, ein Grundgefühl, zu dessen Erreichen viele Wege führen, sondern ein Weg – und zwar ein gerader, asphaltierter Weg, eingezäunt und eingemauert. Da heißt es dann, dass eine gute, bindungsorientierte Mutter stillen muss. Dass ein Kinderwagen niemals das Bedürfnis nach Nähe befriedigen kann und somit am besten gar nicht erst angeschafft werden darf und dass das Familienbett nicht nur eine Option für diejenigen Eltern ist, die gern mit Kindern im selben Bett schlafen, sondern ein Königsweg für alle.
Deswegen ist es mir noch einmal ganz wichtig klarzustellen, was ich unter bindungsorientierter Elternschaft verstehe. Sie ist für mich keine Methode, sondern eine Haltung. Eine Haltung, bei der ich immer die Bedürfnisse meiner Kinder im Blick behalte – und gleichzeitig gut mit mir selbst verbunden bin. Es ist eine Haltung in der ich mir meiner besonderen Rolle als Mutter dieser Kinder bewusst bin – und gleichzeitig weiß, dass auch andere Menschen Nähe und Geborgenheit spenden können. Es ist eine Haltung, in der ich auf die Entwicklung meiner Kinder vertraue und vielen Dingen erstmal ihren Lauf lasse, statt sie zu erzwingen. Es ist eine Haltung in der ich weiß, dass ich eine bessere Mutter bin, wenn es mir gut geht und dass ich viel besser Geborgenheit geben kann, wenn ich auch mal mich an erste Stelle setze. Es ist eine Haltung, in der ich mir nicht von sich ständig ändernden Ernährungsplänen vorschreiben lassen muss, wann ich abstillen sollte, sehr wohl aber von meinem eigenen Empfindungen. Es ist eine Haltung, in der ich meinen Kinder auch im Schulalter noch ermöglichen kann, im Familienbett zu schlafen, aber genauso gut auch ein Baby sanft und liebevoll begleitet ins eigene Bett legen darf, wenn ich sonst nicht schlafen kann.
Ein bindungsorientiertes Familienleben ist meiner Meinung nach auch kein neuer Erziehungsstil, der als weiterer Weg neben autoritärem und autoritativem Erziehen daher kommt. Das ist mir persönlich zu schwarz-weiß gemalt. Wir bindungsorientiert (oder besser bindungs- und beziehungsorientiert) lebenden Eltern haben gemeinsam, dass unsere Haltung dazu führt, dass wir hinterfragen, was gerade auf der Beziehungsebene zwischen uns und unseren Kindern los ist. Doch das heißt nicht, dass wir nicht manchmal autoritativ handeln – oder sogar autoritär. Niemand schafft das. Es ist viel mehr so, dass sich manche Dinge, die lange Zeit in verschiedenen Erziehungsstilen selbstverständlich waren, für uns nicht gut anfühlen und dass wir nach Alternativen suchen. Mir persönlich ist dabei auch gar nicht wichtig, ob jemand von Erziehung redet oder von “Unerzogen” oder ob jemand sein Kind lobt oder ob Müttern oder Vätern auch mal die Sicherung durchbrennt. Mir geht es allein darum, dass Kinder von ihren Eltern gesehen werden und dass es bei allem, was Eltern tun, nicht um Dogmen geht, sondern um das, was gerade bei ihnen und den Kindern los ist. Mir ist es wichtig, dass Eltern einen guten Zugang zu ihren eigenen Gefühlen haben und ihre Kinder lesen können und dass sie diese beiden Dinge zum Gradmesser ihrer Entscheidungen machen – und keine tradierten Vorstellungen, keine neuen Dogmen und nicht die Frage, was andere Menschen denken oder sagen könnten.
Was ist bindungsorientierte Elternschaft für dich?
(Foto: Inka Englisch)