Manchmal möchte ich an der Welt verzweifeln. Viel zu oft erlebe ich sie als kalten und dunklen Ort. Viel zu oft frage ich mich, in was für kaputte Verhältnisse ich Kinder geboren habe. Der Blick auf das Gute und Schöne fällt mir dann schwer. Manchmal ist es, als hätte sich ein dunkler Filter auf meine Wahrnehmung gelegt, der nur noch das Schwarze, das Graue, das Unschöne durchlässt. Soziale Netzwerke befeuern das zusätzlich. Unter verschiedenen Hashtags werden Dinge gesammelt, die alles andere als hoffnungsvoll sind. Kalt, empathielos, verloren erscheint einem unsere Gesellschaft, wenn wir uns vor allem auf das konzentrieren, was völlig daneben läuft. Doch ist das wirklich alles, was wir im Moment zu bieten haben? Haben uns Kälte und Egoismus wirklich so fest im Griff, wie uns Medien und misantrophe Weltanschauung weismachen wollen?
Ich glaube das nicht, denn ich erlebe beinah jeden Tag, dass es anders ist: Da ist die Autofahrerin, die anhält, weil es einer älteren Dame am Straßenrand nicht gut geht. Da sind Nachbarn, die ihre reiche Ernte verteilen und die sich freuen, wenn die Kinder kommen, ihre Äpfel aufsammeln und ihre Zwetschgen pflücken. Da ist der Mann an der Supermarktkasse, der aushilft, weil dem Mädchen vor ihm auf einmal 50 Cent fehlen – und da sind die vier Jungen Männer, die unaufgefordert aus drei verschiedenen Richtungen angerannt kommen, um ein Auto mit anzuschieben.
Sind wir ehrlich, es ist wie alles im Leben eine Frage der Sichtweise. Es liegt mit an uns, ob wir unsere Welt als dunklen, kalten Ort wahrnehmen oder ob wir uns auf die Liebe und Güte konzentrieren, die es um uns herum auch gibt, jeden Tag.
Eine klare Sicht auf das Helle, das Schöne, das Bunte, durfte ich am letzten Samstag erleben. Da fand nämlich das Kinderfest statt, das Manuela für den Mukoviszidose Verein Bonn geplant hatte. Ich durfte Teil dieses tollen Tages sein und die selbstgemachten Dinge verkaufen, die viele andere fleißige Menschen in ihrer Freizeit hergestellt haben. Wenn ich nicht gerade Marmelade anpries oder Wollsocken, dann versuchte ich ab und zu mal ein paar Tränchen der Rührung zu veratmen, die sich immer wieder ohne zu fragen bei mir ansammelten und drohten, mir den Anstrich einer armen Irren zu verleihen. Sie kamen gern zu den unpassendsten Momenten. Zum Beispiel, als die alte Dame kam und nur ein kleines Glas Marmelade wollte, mir dafür aber einen Schein in die Hand drückte und flüsterte: “Stimmt so!” Oder als am Samstagmorgen mit viel Getöse zehn Triker um die Ecke kamen, laut hupten und den Rest des Tages begeisterte Familien ausfuhren – nur um am Ende die von ihnen dadurch gesammelten Spenden aus eigenen Mitteln noch weiter aufzustocken. Oder während ich meinen großen Jungen beobachtete, der trotz voller Schulwoche und noch unerledigter Hausaufgaben fünf Stunden im Foyer des Stephanushauses stand und Luftballons zu Tieren knotete. Als nachmittags die Schlange am Waffelstand auf einmal bis fast raus in den Flur reichte – weil so viele Menschen gekommen waren, um das Fest mitzufeiern und ihr Geld für einen guten Zweck auszugeben, hatte ich gerade keine Zeit zu weinen. Da musste ich nämlich im Akkord Sirup verkaufen und die selbstgenähten Sternenkissen einer jungen Mutter, die das mal eben wochenlang jeden Abend getan hat, während ihr Baby schlief.
Es gab noch viel mehr solcher Momente und so viele tolle Menschen, die es auch verdient hätten, in diesem Artikel erwähnt zu werden, weil sie an diesem Tag alles gegeben haben. Zum Beispiel die Waffelcrew, deren Ablösung leider krank wurde – und die sich zwischen 10 und 16 Uhr kaum auch nur einen Toilettengang gönnten. Doch ich weiß, dass die vielen tollen Menschen, die ich gerade nicht erwähnt habe, es mir nachsehen. Sie sehen es mir nach, weil sie nie angetreten sind, um hinterher dafür gefeiert zu werden. Sie sind angetreten, weil sie das Gefühl hatten, das Richtige zu tun. Sie kamen und blieben, weil sie Teil von etwas sein wollte, was gut ist. Weil sie Gaben haben, die sie hier richtig einsetzen konnten und weil sie Manuela und ihrer Familie zeigen wollten, dass sie nicht allein sind mit all dem, was sie zu schultern haben.
Ich kam nicht umher, an diesem Tag ab und zu an meine alte Freundin Britta zu denken, die einst im richtigen Moment Gandalf den Grauen zitiert hat.
“Saruman ist der Meinung, das nur große Macht das Böse fernhalten kann. Ich finde, es sind die kleinen Dinge – alltägliche Taten von gewöhnlichen Leuten, die die Dunkelheit auf Abstand halten. Einfach Taten aus Güte und Liebe.”
Ich weiß nicht, wie es euch zur Zeit geht, ich jedenfalls möchte nicht länger Teil der Untergangsstimmung in sozialen Netzwerken sein. Ich möchte nicht länger eintauchen in Negativspiralen und Gejammer. Viel lieber will ich mich auf genau das konzentrieren – das Schöne direkt vor meiner Nase. Die einfachen Taten gewöhnlicher Menschen. Die Zeichen von Güte und Liebe, die überall zu finden sind. Denn sie sind das Fünkchen Hoffnung, das jeder und jede Einzelne jeden Tag für die Welt entzünden kann.
(Foto: Inka Englisch)