Eltern sein, Familie leben

Von Sternsingern, Kindern und Hoffnung

Uns allen steht eine düstere Zukunft bevor. Zumindest, wenn man manchem Schwarzmaler glaubt, der in letzter Zeit die pädagogische Debatte in Deutschland begleitet hat. Zum Jahresende schossen sie noch einmal wie Pilze aus dem Boden, diejenigen, die uns Eltern gern ein schlechtes Gewissen machen und glauben zu wissen, was aus der Brut wird, die wir gerade heranziehen.

Unsere Kinder sind nämlich, muss man wissen, nicht mehr lebenstauglich. Im Gegenteil. Wir Eltern, besonders diejenigen unter uns, die sich wagen, neue Wege jenseits eines Law and Order Familienlebens zu gehen, wir ziehen kleine Tyrannen und Egomanen heran. Unsere Kinder werden einmal zu einer Generation von lustlosen, disziplinlosen Faulpelzen werden, die nur ihren eigenen Vorteil im Sinn hat. Schuld daran sind wir Eltern, besonder wir Mütter (wer sonst?). Denn wir, wir machen alles falsch – wir gehen auf die Bedürfnisse unserer Kinder ein, wir begegnen ihnen emphatisch, wir diskutieren und lassen uns hinterfragen. Wir lassen unsere Kinder nicht zum Lunge kräftigen schreien und wenn sie heute lieber den blauen, statt den roten Wasserbecher haben wollen, dann holen wir halt genau diesen. Das kann ja nichts werden, wie auch? Wahrscheinlich werden sich später einmal Horden von Erwachsenen um blaue Wasserbecher prügeln, weil wir ihnen nicht frühzeitig beigebracht haben, notfalls aus den grünen zu trinken.

Wasserbecher, da war doch was. Nein, um Wasserbecher wird sich die Generation, die gerade auf diesem Planten heranwächst, nicht prügeln. Vielleicht aber um Wasser. Das ist nämlich mancherorts schon jetzt ziemlich knapp und der Klimawandel wird auch weiterhin einiges dazu beitragen, dass sich die Situation zuspitzt. Unsere kleinen Egomanen werden ganz sicher nicht in der Lage sein, Wasser zu teilen und die Not zu lindern. Anders als die Generation, die jetzt im jungen oder späten Erwachsenenalter ist und uns Eltern zusieht, wie wir alles falsch machen. Diese Generation freilich, von einigen ihrer Vertreter als lebenstauglich und diszipliniert beschrieben, die teilt ja, was das Zeug hält und setzt sich unermüdlich dafür ein, dass es auf unserem Planten besser wird. Ach nee, halt. 99% von denen sitzen auf ihren Sofas und halten sich für übelste Wohltäter, wenn sie den Müll getrennt haben – aber sei es drum – mit unseren Kindern kann alles nur schlimmer werden.

Unsere Kinder (meine und viele Hunderte mehr in ganz Deutschland) saßen am letzten (bitterkalten) Wochenende übrigens nicht zu Hause. Sie haben ihre letzten vier freien Tage genutzt, um bei Eiseskälte durch die Straßen zu ziehen, an Haustüren zu klingeln, Lieder zu singen und Geld zu sammeln. Geld für Kinder in Kenia, einem Land, das die meisten von ihnen nie gesehen haben, ein Land, das für ihren Alltag so völlig unwichtig erscheint. Geld, damit diese Kinder nicht mehr die Hälfte ihres Tages damit zubringen müssen, von weit entfernten Brunnen Wasser zu holen. Geld, damit diese Kinder auch dann zur Schule gehen können und die Aussicht auf ein besseres Leben haben, wenn die nächste Möglichkeit zum  Lernen mehr als einen Tagesmarsch weit weg ist. Tagesmärsche, die haben viele Kinder dafür auch in Deutschland gemacht. Bei zweistelligen Minusgraden sind sie als Sternsinger durch die Straßen marschiert. Sie haben gesungen, Gedichte aufgesagt und Geld gesammelt. Sie wurden nicht müde, sie quengelten nicht, sie gaben nicht auf, auch als an der 25. Haustür wieder keiner öffnete. Sie zogen tapfer weiter, selbst nachdem es dunkel geworden war und die Kälte in die letzte Ritze ihrer warmen Jacken gezogen war. Es waren die Kinder, die selbst dann noch weiter gelaufen wären, als die Erwachsenen längst nicht mehr konnten. Es waren die Kinder, die zuerst einen ganzen Ferientag dafür genutzt haben, um alles über Kenia, den Klimawandel und unseren westlichen Wasserverbrauch zu lernen. Es sind seither die Kinder, die hinterfragen, ob der Hahn wirklich laufen muss, ob wir so viele Dinge tiefkühlen müssen oder ob der neue Computer nicht Wasser sparender produziert werden kann. Es waren die Kinder, die danach zwei Tage lang bei Wetterbedingungen liefen, die uns Erwachsene meistens zu Hause halten. Es waren unsere lebensuntauglichen, disziplinlosen Kinder, die sich zum Teil auch am Sonntagmorgen noch einmal aus dem Bett quälten, um bei den Gottesdiensten in ihren Gemeinden zu berichten, was sie erfahren hatten und wie viel Geld sie für die Kinder in Kenia sammeln konnten. Und ja – sie bekamen dafür die eine oder andere Süßigkeit auf dem Weg – und die hatten sie mehr als verdient. Wer nun glaubt, dies und nicht Mitgefühl und Engagement hätten unsere Kinder angetrieben, der hat nie den Süßigkeitenschrank einer deutschen Durchschnittsfamilie kurz nach Weihnachten gesehen.

Es waren übrigens auch die Kinder, die vor eineinhalb Jahren, als der erste große Flüchtlingsstrom nach Deutschland kam, in ihre Kinderzimmer liefen und raussuchten, was sie verschenken wollten (und zwar überall in Deutschland, im Netz gibt es wunderschöne Geschichten nachzulesen). Es sind die Kinder, die offen und ohne Berührungsängste auf fremde Menschen zugehen. Es sind die Kinder, denen es erst einmal völlig egal ist, wo jemand herkommt. Die Generation “lebenstauglich” hingegen hatte genügend Vertreter, die sich nicht so sicher waren, ob sie wirklich etwas abgeben oder entbehren könnten. Es waren Vertreter der Generation lebenstauglich, die “Merkel raus” riefen und die versuchte, Flüchtlingsunterkünfte in ihren Wohnorten zu verhindern.

Es sind die Kinder, die in der Lage sind, feinfühlig zu sein, die sich gern für andere einsetzen, die Hoffnung haben und Hoffnung geben. Es sind die Erwachsenen, die genau diese Gaben bei Kindern zerstören, indem sie selbst nicht feinfühlig sind. Indem sie die Gefühle und Bedürfnisse von Kindern missachten. Indem sie Kindern beibringen, dass es falsche und richtige Gefühle gibt. Indem sie Kinder zwingen, einen Teil von dem, was sie selbst fühlen, abzukoppeln. So zerstört man Mitgefühl, so schafft man Tyrannen. Nicht durch emphatischen Umgang und Einfühlungsvermögen.

Liebe Generation “lebenstauglich” (wer immer sich dieser zugehörig fühlt): Bitte denkt das nächste Mal zweimal nach, bevor ihr uns oder unsere Kinder kritisiert. Ihr habt Angst um die Zukunft unserer Kinder? Ja, ich auch. Ich habe nämlich Angst davor, dass wir Eltern es nicht schaffen, diese Empathie, diese Offenheit, diese Unvoreingenommenheit bei unseren Kindern zu erhalten. Ich habe Angst, dass eure Law and Order Einstellung auch meine Elterngeneration so verunsichert, dass wir weitergeben, was seit Generationen an Kinder herangetragen wird. Ich habe Angst, dass wir eine Generation von Egomanen und Tyrannen heranziehen – eine weitere, die genauso ist wie ihr und wir!

3 Kommentare zu „Von Sternsingern, Kindern und Hoffnung“

  1. Sehr guter Text! Und ja es stimmt! Auch wenn wir den Kindern mal den blauen Becher gönnen, wird was aus unseren Kindern. Ich habe zwei von dreien erwachsen ( ja aus der blauen Becher Fraktion) und die eine studiert auf der Bibelschule Theologie und engagiert sich in der Jugendgruppe und in sämtlichen Projekten die zu der Schule gehören und mein Sohn baut neben seinem Studium mit vielen anderen engagierten Christen eine Organisation auf die unter anderem Kindern in Indien eine Zukunft gibt. Und das wo sie sich immer und immer wieder um diesen blöden Becher zankten ;-). Nochmals danke für diesen Artikel, herzlichst Sandra aus dem Sommerzimmer

    1. Wie schön das von dir zu lesen. Ich freue mich immer sehr, wenn auch erfahrene Mütter mit schon großen Kindern das bestätigen können, was ich von dem, was ich von meinen Kleinen sehe und aus meiner pädagogischen Arbeit weiß, ableite.

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Fotos: Inka Englisch (Link)

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Unternehmerin, Erziehungswissenschaftlerin, Familienberaterin, Autorin, dreifache Mama und vor allem für Sie und ihre Familie da.

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