Lass Liebe auf uns regnen

Als Eltern ein Paar bleiben


Laß Liebe auf uns regnen,
Laß es gießen und uns segnen
Laß uns immer neu begegne
Laß es immer, laß es immer so sein.
(Reinhard Mey, Lass liebe auf uns regnen)

Ja, ja, ich weiß. Reinhard Mey, ist jetzt wahrscheinlich nicht das, was die meisten von euch den ganzen Tag über laufen haben. Aber ab und zu höre ich persönlich ihn ganz gerne. Seine Texte bewegen mich häufig und immer wieder finde ich etwas bei ihm, was mich zum Nachdenken und ins Schreiben bringt.

Lass Liebe auf uns regnen, lass es gießen und uns segnen, lass uns immer neu begegnen, lass es immer so sein. Dieser Text rührt mich. Besonders, weil man in der ersten Strophe des Liedes erfährt, dass es dabei nicht etwa um ein frisch verliebtes Paar geht, sondern um ein Silberpaar – um zwei Menschen, die sich 25 Jahre lieben. Die sich versprochen haben, mit einander alt zu werden und die es nun bald sind – und nun bittet der Mann die Frau, mit ihm noch älter zu werden.

Das ist wunderschön – und natürlich ein bisschen kitschig. Das sind die Musik gewordenen Fotos alter Paare, die immer wieder bei Facebook die Runde machen – aber ganz ehrlich, auch die berühren mich ab und zu. Früher hatte ich gelegentlich das Vergnügen, für unsere lokale Tageszeitung zu schreiben und Paare zu interviewen, die richtig lange zusammen waren, 50 Jahre, 60 Jahre und einmal sogar 65 Jahre. Ich bin nie ohne Gänsehaut aus einem solchen Gespräch gegangen, meine Artikel habe ich fast immer mit einer Träne im Auge geschrieben – und ganz ehrlich – es waren die einzigen guten Artikel, die ich während dieses Jobs verfasst habe (deshalb hatte ich ihn auch nicht lange).

Aber warum berührt es mich, wenn Menschen es geschafft haben, in Liebe miteinander alt zu werden? Weil es nicht selbstverständlich ist. In meinem Freundes- und Bekanntenkreis existieren die ersten Ehen, die etwa zeitgleich mit unserer geschlossen wurden, schon nicht mehr. Sie sind gescheitert, gescheitert am Alltag, an den Lasten des Lebens, an den Schwierigkeiten, die wir alle kennen. An Zeitmangel, an Wortmangel, an Mangel an Aufmerksamkeit und Verständnis, daran, dass einer auf einmal in eine andere Richtung los lief und der andere nicht hinterher kam. Zurück geblieben sind tief verletzte Menschen. Und sind wir ehrlich – viele von uns sind schon einmal am Rande einer solchen Katastrophe spazieren gegangen. Oft beginnt es, wenn wir Eltern werden. Wenn unser Fokus auf einmal nicht mehr auf uns als Paar liegt, sondern neue Persönlichkeiten in unsere Zweierbeziehung kommen. Wenn wir zwar nicht Liebe, aber doch Aufmerksamkeit teilen müssen, wenn wir auf einmal zu kurz kommen. Wenn durchwachte Nächte, Autonomiephasen oder Schulstress unserer Kinder unser Nervenkostüm dünn werden lassen, wenn böse Worte aus unserem Mund kommen, die wir eigentlich gar nicht sagen wollten. Wenn wir uns auf einmal nicht mehr verstanden fühlen, wenn wir das Gefühl haben, in unterschiedlichen Welten zu leben, weil das, was wir jeden Tag tun, zu unterschiedlich ist.

Reinhard Mey kennt das auch – sein Lied erzählt auch von solchen Phasen: Hast du nicht manchen Tag gedacht, Du müßtest mich verlassen? Lag ich nicht wach in mancher Nacht und wünscht, ich könnt dich hassen! Doch alle Wunden, alle Schrammen, aus mancher Fehde, mancher Schlacht, haben uns nur fester zusammen, zueinander gebracht!

Doch wie schafft man es, dass Schrammen und Wunden heilen und dass wir daraus stärker werden, statt auseinander zu driften? Ehrlich gesagt habe ich darauf keine allgemeingültige Antwort. Höchstens eine gedankliche Annäherung. Ich könnte mir vorstellen, die Lösung liegt in Refrain des Liedes. Die für mich wichtigste Stelle heißt

Laß uns immer neu begegnen

Neu begegnen – das heißt, den anderen immer wieder neu und offen in sein Leben zu lassen. Den anderen immer wieder neugierig anzuschauen. Immer wieder wissen zu wollen, was bei dem anderen im Leben los ist. Sich selbst nie verschließen, sondern ebenfalls immer wieder updaten, was wir gerade denken, fühlen, wo wir uns hin bewegen, was unsere Ziele, Träume und Wünsche sind. Es heißt aber auch, den anderen nicht bremsen. Ihn sich entwickeln lassen, auch wenn die Richtung neu ist, wenn Dinge anders kommen, als man sie am Anfang der Partnerschaft erwartet hat, wenn sich der Partner scheinbar verändert. Veränderungen ohne Angst, sondern mit Neugier begegnen – und aneinander glauben. An die Liebe glauben.

Ich wurde schon oft belächelt, weil ich das tue. In den Kreisen, in denen ich mich als Bloggerin und Netzaktive oft bewege, ist der Glaube an die Liebe nicht weit verbreitet. In diesen Kreisen geht es eher darum, dass die Liebe endet und was zurück bleibt. Es geht eher um die Frage, ob die Liebe noch zeitgemäß ist – also die dauerhafte Liebe, das Festhalten an einer Paarbeziehung. Es geht dabei oft eher um einen Abgesang an Ehe oder lebenslange Partnerschaft.

Und nein, ich bin nicht komplett naiv – ich weiß darum, ich weiß um die Gefahren und ich weiß, dass sie groß sind. Ich weiß auch, dass lebenslange Partnerschaften in der Vergangenheit oft nicht auf Liebe, sondern auf Zwängen beruht haben. Aber ich weiß noch mehr – nämlich, dass es sie geben kann. Ich weiß aber auch, dass man sie nicht geschenkt bekommt. Reinhard Mey singt: Laß Liebe auf uns regnen, laß es gießen und uns segnen. Ja – das wünsche ich mir auch, für alle, die zusammen bleiben wollen. Aber ich weiß auch, dass man nicht allein auf das Gießen und Segnen von oben vertrauen kann. Ich weiß, dass man selbst dazu beitragen muss, dass die Liebe bleibt.

Paar sein braucht, genau wie Familie sein, Zeit und Raum. Es ist unglaublich gut und unglaublich wichtig, sich diese Zeit und diesen Raum zu nehmen. Immer wieder neu. Sich immer wieder etwas im Alltag frei zu kämpfen. Das muss nicht jede Woche das Date mit Kerzenschein sein, manchmal reicht eine halbe Stunde kuscheln und reden, nachdem die Kinder endlich schlafen. Manche Wochen sind so dicht, dass es eine ausgiebige WhatsApp  reichen muss, gepaart mit einem Einschlafkuss. Manchmal ist mehr Raum. Ich habe festgestellt, dass es gut ist, in sich ergebenden Räumen und Zeitfenstern tatsächlich einmal die Beziehung in den Vordergrund zu stellen – um sich eben immer neu zu begegnen.

Mein Mann und ich haben dieses Jahr einen wunderbaren Rahmen dafür gefunden. In unserer Gemeinde fand ein Alpha Paarkurs statt.

Einen Paarkurs? Haben wir den nötig?  Fragten wir uns am Anfang und waren eher zögerlich, dort hinzugehen.  Nötig nicht, dachten wir uns dann aber, aber schaden kann es wohl auch nicht, und so meldeten wir uns in gespannter Erwartung für die sieben Abende an.

Erfreut stellten wir gleich am ersten Abend fest, dass die Kursleiter im Gemeindehaus  eine Atmosphäre geschaffen hatten, in der es nur um uns als Paar ging. Die kleinen Zweiertische waren so im Raum verteilt, dass wir ungestört private Gespräche führen konnten und die Musik, die während der Phasen des miteinander Redens gespielt wurde, sorgte zusätzlich dafür, dass niemand im Raum mitbekam, was wir uns zu den einzelnen Themen zu sagen hatten.

Durch die Abende  führten uns Videos des Pfarrers Nicky Lee und seiner Frau Sila und die Themen deckten eine große Bandbreite des alltäglichen Miteinanders ab. Neben Wegen zu einer guten Kommunikation hatten wir auch Gelegenheit, über Konfliktpunkte ins Gespräch zu kommen, familiäre Prägungen zu reflektieren und unverheilte Verletzungen im geschützten Rahmen anzusprechen und zu vergeben. Der Kurs gab uns außerdem immer wieder Anlässe für Gänsehaut und Kribbeln im Bauch, so durften wir beispielsweise noch einmal an unsere erste Begegnung zurückdenken oder aufschreiben, was wir aneinander besonders lieben. Gedämmtes Licht und leckere Snacks machten die Candle Light-Dinner Atmosphäre perfekt. Am Ende war unser Fazit: Ein Paarkurs ist eine gute Gelegenheit, die eigene Beziehung zu stärken und das gemeinsame Fundament auszubauen und sich eben neu zu begegnen – und das haben wir alle von Zeit zu Zeit einmal nötig.

Ich werde übrigens auch für diesen Beitrag nicht bezahlt – weder von Reinhard Mey, noch von Alpha Deutschland. Schlimmer noch, die wissen noch nicht mal, dass ich über ihre Lieder und Kurse schreibe und werden es, aufgrund meiner katastrophalen Reichweite, auch nie erfahren. Aber ich wollte euch Mut machen, auch mal einen solchen Weg auszuprobieren. Es muss nicht der Alpha-Paarkurs sein, vielleicht tut es auch ein gemeinsam gelesenes Buch, eine DVD oder ein Austausch mit Freunden. Eine stabile Beziehung ist eine wunderbare Grundlage für unsere Träume, unsere Ziele und die Art und Weise, wie wir Kinder ins Leben begleiten wollen – und ich glaube fest daran, dass es sich lohnt und dass wir das spätestens dann wissen, wenn wir selbst einmal 80 sind und unsere 267 besten Freunde unseren Facebookeintrag um die Welt schicken.

 

Fotos: Inka Englisch (Link)

Über mich:

Unternehmerin, Erziehungswissenschaftlerin, Familienberaterin, Autorin, dreifache Mama und vor allem für Sie und ihre Familie da.

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